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Madame Bovary: Roman. Herausgegeben und übersetzt von Elisabeth Edl (German Edition)

Madame Bovary: Roman. Herausgegeben und übersetzt von Elisabeth Edl (German Edition)

Titel: Madame Bovary: Roman. Herausgegeben und übersetzt von Elisabeth Edl (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gustave Flaubert
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Aderlässen den lauwarmen Blutstrahl ins Gesicht, lauschte dem Röcheln, schaute prüfend in Schüsseln, fasste unter viel schmutzige Wäsche; doch jeden Abend erwartete ihn ein prasselndes Feuer, ein gedeckter Tisch, weiche Möbel und eine Frau in feinen Kleidern, so bezaubernd und wohlriechend, dass man sich fragte, woher dieser Duft kam, und ob es nicht vielleicht ihre Haut war, die hindurchatmete durch ihr Hemd.
    Sie bezauberte ihn durch eine Fülle kleiner Annehmlichkeiten: mal war es eine neue Art, für die Kerzen Tropfenfänger aus Papier zu falten, ein Volant, den sie an ihrem Kleid änderte, oder der ausgefallene Name eines ganz einfachen Gerichts, das dem Dienstmädchen misslungen war, das Charles jedoch genüsslich verschlang, bis auf den letzten Bissen. Sie erblickte in Rouen Damen, die an ihrer Uhr eine Unzahl von Berlocken trugen; sie kaufte Berlocken. Sie wollte auf ihrem Kamin zwei große Vasen aus blauem Glas und, kurz darauf, ein Nähnecessaire aus Elfenbein mit einem Fingerhut aus Vermeil. Je weniger Charles diese Vornehmheiten verstand, desto stärker wirkte ihr Reiz. Sie erhöhten noch das Vergnügen seiner Sinne und die Behaglichkeit seines Heims. Es war, als läge überall goldener Staub auf dem kleinen Pfad seines Lebens.
    Ihm ging es gut, er wirkte gesund; sein Ansehen war vollkommen gefestigt. Die Landleute mochten ihn, weil er nicht eingebildet war. Er tätschelte die Kinder, saß nie im Wirtshaus und flößte außerdem Vertrauen ein durch seinen Lebenswandel. Erfolg hatte er vor allem bei Katarrhen und Brustleiden. Da Charles große Angst hatte, er könnte seine Schäfchen umbringen, verordnete er meist nur lindernde Säfte, hin und wieder ein Brechmittel, ein Fußbad oder Blutegel. Nicht dass er sich vor der Chirurgie gefürchtet hätte; er ließ die Leute reichlich zur Ader, wie Pferde, und beim Zahnreißen arbeitete er mit höllischer Kraft .
    Und schließlich abonnierte er, um sich auf dem laufenden zu halten , die Ruche médicale , eine neue Zeitschrift, die ihm einen Werbezettel geschickt hatte. Er las ein wenig abends nach dem Essen; aber die Wärme im Haus, neben der Verdauung, bewirkte, dass er fünf Minuten später einschlief; und dann saß er da, das Kinn auf beiden Händen und die Haare hingebreitet wie eine Mähne bis zum Lampenfuß. Emma betrachtete ihn und zuckte die Schultern. Warum hatte sie nicht wenigstens einen jener wortkargen, arbeitswütigen Männer zum Gatten, die bei Nacht Bücher studieren und zu guter Letzt, mit sechzig, wenn die Zeit der rheumatischen Leiden kommt, eine Ordensspange tragen auf ihrem schlechtgeschnittenen schwarzen Rock. Sie hätte gern gewollt, dass der Name Bovary, der ja auch ihrer war, berühmt wurde, dass er bei allen Buchhändlern auslag, in allen Zeitungen stand, bekannt war in ganz Frankreich. Doch Charles hatte keinen Ehrgeiz! Ein Arzt aus Yvetot, mit dem er kürzlich bei einer Untersuchung zusammengekommen war, hatte ihn ein bisschen gedemütigt, noch dazu am Bett des Kranken, in Anwesenheit der gesamten Verwandtschaft. Als Charles die Geschichte am Abend erzählte, empörte sich Emma furchtbar über den Kollegen. Charles war gerührt. Er küsste sie auf die Stirn, vergoss eine Träne. Sie aber war außer sich vor Scham, am liebsten hätte sie ihn geschlagen, sie ging hinaus auf den Flur, öffnete das Fenster und atmete tief die frische Luft, um sich zu beruhigen.
    »Dieser armselige Mann! Dieser armselige Mann!« flüsterte sie und biss sich auf die Lippen.
    Sie ärgerte sich auch sonst über ihn. Er bekam mit dem Alter eine plumpe Behäbigkeit; beim Nachtisch schnitzte er an den Korken der leeren Flaschen; nach dem Essen fuhr er sich mit der Zunge über die Zähne; wenn er seine Suppe hinunterschluckte, hörte man bei jedem Löffelvoll ein Glucksen, und da er langsam Fett ansetzte, schienen seine sowieso schon kleinen Augen wegen der aufgedunsenen Bäckchen gegen die Schläfen zu wandern.
    Emma stopfte ihm manchmal den roten Saum seines Unterhemds in die Weste, richtete ihm die Halsbinde oder warf die ausgebleichten Handschuhe fort, die er gerade anziehen wollte; und das geschah nicht, wie er glaubte, seinetwegen; es geschah ihretwegen, aus unbezähmbarem Egoismus, nervöser Gereiztheit. Manchmal sprach sie auch über Dinge, die sie gelesen hatte, zum Beispiel eine Romanstelle, ein neues Stück oder die Anekdote aus der großen Welt , die in der Gesellschaftskolumne erzählt wurde; denn immerhin, Charles war jemand, ein stets offenes

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