Madame Bovary: Roman. Herausgegeben und übersetzt von Elisabeth Edl (German Edition)
seinem Haus, und der Feldhüter kam vorbei, den Säbel über seinem Kittel. Morgens und abends überquerten die Pferde von der Poststation die Straße, immer drei nebeneinander, um aus dem Tümpel zu trinken. Hin und wieder läutete an einer Wirtshaustür das Glöckchen, und wenn der Wind blies, hörte man an ihren zwei Stangen die kleinen Messingschüsseln des Perückenmachers knarren, die seinem Laden als Aushängeschild dienten. Die Dekoration bestand aus einem alten, an der Scheibe klebenden Modestich und einer wächsernen Frauenbüste mit gelbem Haar. Auch er, der Perückenmacher, jammerte über seine vergeudete Berufung, seine aussichtslose Zukunft, träumte von einem Laden in einer großen Stadt, wie zum Beispiel Rouen, am Hafen, in Theaternähe, und spazierte den ganzen Tag umher, zwischen Rathaus und Kirche, trübselig, im Warten auf Kundschaft. Wenn Madame Bovary aufblickte, sah sie ihn jedesmal wie eine Schildwache auf Posten, mit seiner griechischen Mütze auf den Ohren und seiner Jacke aus Lasting.
Nachmittags erschien manchmal ein Männerkopf hinter den Glasscheiben der großen Stube, ein wettergebräunter Kopf mit schwarzem Backenbart, und lächelte träge, ein breites, sanftes Lächeln mit weißen Zähnen. Sogleich erklang ein Walzer, und auf dem Leierkasten, in einem kleinen Salon, drehten sich daumengroße Tänzer, Frauen mit rosa Turban, Tiroler mit Jäckchen, Affen mit schwarzem Frack, Herren mit Kniehose, drehten sich zwischen den Armstühlen, den Kanapees, den Konsolen, vervielfacht in den Spiegelscherben, die ein Streifen Goldpapier an den Ecken miteinander verband. Der Mann betätigte seine Kurbel, schaute nach rechts, nach links und zu den Fenstern. Von Zeit zu Zeit schleuderte er einen langen Strahl brauner Spucke gegen den Randstein und hob mit dem Knie sein Instrument, dessen harter Riemen ihm in die Schulter schnitt; und mal wehmütig und schleppend, mal fröhlich und schnell quoll die Orgelmusik schnarrend durch den rosa Taftschleier unter seinem schnörkeligen Messinggitter. Das waren Melodien, die man anderswo auf den Theatern spielte, die man sang in den Salons, zu denen man abends unter hellen Lüstern tanzte, ein Widerhall aus der Welt, der bis zu Emma drang. Endlose Sarabanden zogen durch ihren Kopf, und wie eine Bajadere auf den Blumen eines Teppichs hüpften ihre Gedanken mit den Klängen, balancierten von Traum zu Traum, von Traurigkeit zu Traurigkeit. Wenn der Mann sein Almosen in der Mütze hatte, zog er eine alte blaue Wolldecke über den Leierkasten, hängte ihn auf den Rücken und stapfte davon mit schwerem Schritt. Sie schaute ihm nach.
Doch vor allem zur Stunde der Mahlzeiten, da konnte sie nicht mehr, in diesem kleinen Raum zu ebener Erde, mit dem Ofen, der rauchte, der Tür, die quietschte, den Wänden, die schwitzten, dem feuchten Steinboden; all die Bitternis ihres Daseins schien ihr auf dem Teller serviert, und mit dem Dampf des Suppenfleisches stiegen vom Grund ihrer Seele immer weitere Ekelschwaden. Charles aß und aß; sie knabberte ein paar Haselnüsse oder vertrieb sich die Zeit und ritzte, den Ellbogen aufgestützt, mit der Messerspitze Linien ins Wachstuch.
Sie vernachlässigte jetzt ihren Haushalt, und als die alte Madame Bovary nach Tostes kam, um einen Teil der Fastenzeit hierzubleiben, war sie höchst erstaunt über diese Veränderung. Tatsächlich, früher so verfeinert und anspruchsvoll, verbrachte sie nun ganze Tage, ohne sich anzukleiden, trug graue Baumwollstrümpfe, brannte Talgkerzen. Immer wieder sagte sie, es müsse gespart werden, man sei nicht reich, und fügte hinzu, sie wäre sehr zufrieden, sehr glücklich, Tostes gefiele ihr gut, nebst anderen neuartigen Reden, die ihrer Schwiegermutter den Mund stopften. Außerdem schien Emma nicht länger willens, ihren Ratschlägen zu folgen; einmal sogar, als Madame Bovary sich zu der Behauptung verstiegen hatte, die Herrschaft müsse die Frömmigkeit der Dienstboten überwachen, antwortete sie mit so zornigem Blick und so kaltem Lächeln, dass die gute Frau sich mit ihr nicht mehr anlegte.
Emma wurde schwierig, launenhaft. Sie bestellte Gerichte eigens für sich, rührte aber nichts an, trank an einem Tag bloß Milch und am nächsten ein Dutzend Tassen Tee. Oft blieb sie hartnäckig im Haus, dann litt sie unter Atemnot, riss die Fenster auf, trug leichte Kleider. Wenn sie ihre Magd grob behandelt hatte, machte sie ihr Geschenke oder schickte sie zu den Nachbarinnen, und genauso warf sie den Armen
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