Madame Bovary: Roman. Herausgegeben und übersetzt von Elisabeth Edl (German Edition)
durch ganz schlichte Glasfenster, fällt schräg auf die quer zur Wand gereihten Bänke, und an manchen Stellen ist diese mit einer festgenagelten Strohmatte verziert, unter der in fetten Buchstaben die Worte »Bank von Monsieur Soundso« stehen. Ein Stück weiter, dort, wo das Kirchenschiff enger wird, findet sich dem Beichtstuhl gegenüber eine kleine Statue der Jungfrau Maria, in Satin gewandet, auf dem Haupt ein mit silbernen Sternen übersäter Tüllschleier, die Backen purpurrot wie ein Götze von den Sandwich-Inseln; und eine Kopie der Heiligen Familie, Zueignung des Innenministers , die zwischen vier Leuchtern den Hochaltar überragt, schließt ganz hinten die Perspektive. Das Chorgestühl aus Tannenholz wurde nie gestrichen.
Die Markthalle, das heißt, ein von etwa zwanzig Pfosten getragenes Ziegeldach, braucht für sich allein ungefähr die Hälfte des Hauptplatzes von Yonville. Das Rathaus, erbaut nach Plänen eines Architekten aus Paris , ist eine Art griechischer Tempel und liegt an der Ecke, neben dem Haus des Apothekers. Es hat im Erdgeschoss drei ionische Säulen und im ersten Stock eine Rundbogengalerie, während das abschließende Tympanon ein gallischer Hahn ausfüllt, der sich mit einem Fuß auf die Charta stützt, und mit dem andern hält er die Waagschalen der Gerechtigkeit.
Doch was sämtliche Blicke auf sich zieht, das ist, gegenüber dem Gasthof Lion d’or , die Apotheke von Monsieur Homais! Abends vor allem, wenn ihre Öllampe brennt und die roten und grünen Glasbehälter, die ihre Auslage schmücken, zweifarbige Lichtstrahlen weit hinaus über den Boden werfen; dann erblickt man durch sie hindurch, wie in bengalischem Feuer, den Schatten des Apothekers, die Ellbogen auf seinem Pult. Das Haus ist von oben bis unten mit Sprüchen in Kursiv-, Rund- und Druckschrift bedeckt: »Wasser aus Vichy, Selters und Barèges, Blutreinigungsmittel, Raspail-Medizin, arabisches Racahout, Darcet-Pastillen, Regnault-Bonbons, Binden, Kräuterbäder, Abführschokolade usf.« Und auf dem Aushängeschild, das über die ganze Ladenbreite läuft, prangt in Goldbuchstaben: Homais, Apotheker . Tief im Laden dann, hinter den großen, auf dem Verkaufstresen festgeschraubten Waagen, leuchtet das Wort Laboratorium über einer Glastür, die in halber Höhe noch einmal Homais wiederholt, in Goldbuchstaben auf schwarzem Grund.
Sonst gibt es nichts zu sehen in Yonville. Die Straße (die einzige), einen Büchsenschuss lang und gesäumt von einer Handvoll Läden, endet abrupt, wo die Landstraße abbiegt. Lässt man sie rechts liegen und geht am Fuß der Anhöhe Saint-Jean entlang, kommt man sehr bald zum Friedhof.
Während der Cholera hat man, um ihn zu vergrößern, ein Mauerstück abgerissen und drei Morgen angrenzendes Land gekauft; aber dieser ganze neue Teil ist nahezu unbewohnt, und wie einst drängen sich die Gräber weiterhin am Eingang. Der Friedhofswärter, der zugleich Totengräber und Kirchdiener ist (und somit aus den Leichen der Gemeinde doppelten Gewinn schlägt), hat den leeren Platz genutzt und Kartoffeln angebaut. Von Jahr zu Jahr jedoch wird sein Äckerchen kleiner, und wenn eine Epidemie ausbricht, weiß er nicht, ob er sich freuen soll über die Verstorbenen oder grämen über ihre Bestattung.
»Sie ernähren sich von Toten, Lestiboudois!« sagte schließlich eines Tages der Herr Pfarrer.
Diese düsteren Worte stimmten ihn nachdenklich; sie ließen ihn für eine Weile innehalten; doch heute noch pflanzt er seine Knollenfrüchte und behauptet sogar dreist, sie wüchsen von allein.
Seit den Ereignissen, von denen hier berichtet werden soll, hat sich nichts verändert in Yonville. Die blecherne Trikolore rotiert immer noch auf der Kirchturmspitze; vor dem Laden des Modewarenhändlers flattern die beiden Fähnchen aus Baumwollstoff unverzagt im Wind; die Föten des Apothekers, wie weiße Zunderklümpchen, faulen weiter im trüben Spiritus, und über dem großen Gasthoftor zeigt der alte goldene Löwe, ausgebleicht vom Regen, den Vorübergehenden noch immer seinen lockigen Pudelschopf.
An dem Abend, als das Ehepaar Bovary in Yonville eintreffen sollte, war die verwitwete Madame Lefrançois, Wirtin dieses Gasthofes, so beschäftigt, dass ihr beim Hantieren mit den Kochtöpfen dicke Schweißtropfen über die Stirn rannen. Denn am nächsten Tag war Markt im Ort. Rechtzeitig musste sie Fleisch zerteilen, Hühner ausnehmen, Suppe kochen und Kaffee. Dazu kam noch die Mahlzeit für ihre Kostgänger, für den
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