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Madame Bovary: Roman. Herausgegeben und übersetzt von Elisabeth Edl (German Edition)

Madame Bovary: Roman. Herausgegeben und übersetzt von Elisabeth Edl (German Edition)

Titel: Madame Bovary: Roman. Herausgegeben und übersetzt von Elisabeth Edl (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gustave Flaubert
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Ohr, ein stets williger Beifall. Viel Vertrauliches sagte sie auch ihrem Windspiel! Und wenn es sein musste, den Holzscheiten im Kamin und dem Pendel der Uhr.
    Im Grund ihrer Seele freilich wartete sie auf ein Ereignis. Wie Matrosen in Seenot ließ sie über die Einsamkeit ihres Lebens einen verzweifelten Blick schweifen, suchte in der Ferne nach einem weißen Segel am diesigen Horizont. Sie wusste nicht, wie dieser Zufall aussehen, welcher Wind ihn zu ihr treiben, an welches Ufer er sie bringen würde, ob er Schaluppe war oder Schiff mit drei Decks, schwer von Ängsten oder voller Glückseligkeit bis hinauf an die Ladeluken. Doch jeden Morgen beim Aufwachen erwartete sie ihn für diesen Tag, und sie lauschte auf alle Geräusche, sprang erschrocken hoch, wunderte sich, dass er nicht kam; und ersehnte dann, bei Sonnenuntergang, jedesmal ein bisschen trauriger, den nächsten Morgen.
    Es wurde Frühling. Sie bekam Atembeschwerden an den ersten warmen Tagen, als die Birnbäume blühten.
    Anfang Juli begann sie an den Fingern abzuzählen, wie viele Wochen noch blieben bis zum Oktober, denn sie meinte, der Marquis d’Andervilliers würde vielleicht wieder einen Ball geben auf La Vaubyessard. Aber der ganze September verstrich ohne Brief und Besuch.
    Nach dem Verdruss über diese Enttäuschung blieb ihr Herz wieder leer, und von neuem folgte das ewige Einerlei der Tage.
    So würden sie nun weiterrinnen, immer gleich, unübersehbar, und sie brächten ihr nichts! Die anderen Leben, so platt sie auch waren, hatten wenigstens Aussicht auf ein Ereignis. Irgendeine Begebenheit führte zuweilen eine Kette überraschender Wendungen herbei, und das Bühnenbild wechselte. Doch bei ihr geschah nichts, Gott hatte es so gewollt! Die Zukunft war ein pechschwarzer Flur und die Tür am Ende fest verschlossen.
    Sie gab das Musizieren auf. Warum spielen? Wer sollte sie hören? Da sie niemals spüren würde, im kurzärmligen Samtkleid, an einem Érard-Flügel, im Konzert, mit leichten Fingern die Elfenbeintasten anschlagend, wie verzücktes Raunen sie einer Brise gleich umwehte, lohnte sich dieses langweilige Üben nicht. Sie ließ ihre Zeichenblätter und die Stickerei im Schrank. Wozu? Wozu? Nähen war ihr zuwider.
    »Ich habe alles gelesen«, sagte sie sich.
    Und sie saß da, brachte die Feuerzange zum Glühen oder schaute, wie der Regen fiel.
    Wie traurig war sie sonntags, wenn zur Vesper geläutet wurde! Sie lauschte, in aufmerksamen Stumpfsinn versunken, jedem einzelnen der scheppernden Glockenschläge. Eine Katze spazierte langsam über die Dächer, wölbte ihren Buckel in den matten Strahlen der Sonne. Der Wind blies Staubwolken über die Landstraße. In der Ferne heulte zuweilen ein Hund: und die Glocke ließ in gleichmäßigen Abständen weiter ihr monotones Geläut erklingen, das zwischen den Feldern verhallte.
    Unterdessen kamen die Leute aus der Kirche. Die Frauen in blankgewichsten Holzpantinen, die Bauern in neuen Kitteln, die kleinen Kinder, die barhäuptig vor ihnen hersprangen, alles ging nach Hause. Und bis in die Nacht hinein blieben fünf oder sechs Männer draußen, immer die gleichen, und spielten Bouchon vor dem großen Tor des Gasthofs.
    Der Winter war kalt. Die Fensterscheiben waren jeden Morgen mit Eis überzogen, und das weißliche Licht, das durch sie hereinfiel wie durch Milchglas, änderte sich manchmal den ganzen Tag nicht. Nachmittags um vier musste man die Lampe anzünden.
    An Tagen mit schönem Wetter ging sie in den Garten. Der Tau hatte auf den Kohlköpfen silbrige Gipüren zurückgelassen, mit langen hellen Fäden, die von einem zum andern liefen. Man hörte keine Vögel, alles schien zu schlafen, die mit Stroh abgedeckten Spalierbäume und der Weinstock wie eine große kranke Schlange unter der Mauerhaube, wo man beim Nähertreten Kellerasseln mit ihren unzähligen Beinchen herumkriechen sah. Unter den Fichten, bei der Hecke, hatte der in seinem Brevier lesende Pfarrer mit Dreispitz den rechten Fuß verloren, und sogar der Gips war abgebröckelt durch den Frost und zeigte weiße Krätze auf seinem Gesicht.
    Dann ging sie wieder hinauf, schloss die Tür, stocherte in der Glut und spürte, halb ohnmächtig durch die Wärme des Kaminfeuers, wie die Langeweile noch drückender auf sie herniederfiel. Sie wäre gern hinuntergegangen, um mit dem Dienstmädchen zu plaudern, doch Scham hielt sie zurück.
    Jeden Tag um die gleiche Zeit öffnete der Schullehrer mit schwarzer Seidenmütze die Fensterläden an

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