Madame Bovary
Bovary hatte nichts mehr an Emma auszusetzen,
abgesehen von ihrer Manie, für Waisenkinder Jacken zu stricken und
ihre eigenen Wischtücher unausgebessert zu lassen. Aber die gute
Frau war der Zwiste in ihres Mannes Hause dermaßen müde, daß ihr
der Frieden am Herde ihres Sohnes so wohltat, daß sie bis nach
Ostern dablieb, um den Bärbeißigkeiten des alten Bovary zu
entgehen, der alle Freitage, an den Fastentagen, unbedingt eine
Bratwurst auf dem Tische sehen wollte.
Außer der Gesellschaft ihrer Schwiegermutter, die ihr durch ihre
Rechtlichkeit und ihr würdiges Wesen einen gewissen Halt gab, hatte
Emma jetzt fast alle Tage Besuch bei sich. Es verkehrten mit ihr:
Frau Langlois, Frau Caron, Frau Dübreuil, Frau Tüvache, sowie die
treffliche Frau Homais, die sich regelmäßig zwischen drei und fünf
Uhr einstellte. Sie hatte dem Klatsch, der über ihre Nachbarin im
Umlauf gewesen war, niemals Glauben schenken wollen. Auch die
Apothekerskinder kamen mitunter in Justins Begleitung. Er brachte
sie in Emmas Zimmer und blieb in der Nähe der Türe stehen, ohne
sich zu rühren und ohne ein Wort zu sagen. Oft gewahrte ihn Frau
Bovary gar nicht und ließ sich in ihrem Toilettemachen nicht
stören. Sie kämmte sich das Haar, wobei sie den Kopf nach dem
Durchziehen des Kammes jedesmal mit einer eigentümlichen heftigen
Bewegung zurückwarf. Als der arme Junge zum ersten Male diese volle
Haarflut sah, die in langen schwarzen Ringeln bis zu den Knien
herabwallte, war es ihm zumute, als schaue er plötzlich ganz Neues, Außergewöhnliches, und er starrte wie
geblendet hin.
Sicherlich bemerke Emma weder sein stummes Entzücken noch seine
schüchterne Verehrung. Sie hatte keine Ahnung, daß die aus ihrem
Leben entschwundene Liebe dort, ihr ganz nahe, in neuer Gestalt
wieder auftauchte, unter einem groben Leinwandhemd, in einem jungen
Herzen, das sich der Offenbarung ihrer Frauenschönheit weit
öffnete. Im übrigen war sie jetzt in jeder Hinsicht grenzenlos
gleichgültig. Mit dem stolzesten Gesichte sagte sie die
zärtlichsten Worte. Ihr ganzes Benehmen war so widerspruchsvoll,
daß man Selbstsucht nicht mehr von Mitleid an ihr unterscheiden
konnte. Man wußte nicht mehr, war sie verdorben oder unnahbar.
Zum Beispiel war sie eines Abends sehr ungehalten über ihr
Dienstmädchen. Es bat, ausgehen zu dürfen, und stotterte
irgendeinen Vorwand her. Unvermittelt fragte Emma:
»Du liebst ihn also?« und, ohne Felicies Antwort abzuwarten,
fügte sie in traurigem Tone hinzu: »Geh! Lauf! Vergnüge dich!«
In den ersten Frühlingstagen ließ sie den Garten vollständig
umändern. Karl war anfangs dagegen, dann jedoch freute er sich
darüber, daß sie endlich wieder einmal einen bestimmten Wunsch
äußerte. Nach und nach bewies sie auch anderweitig, daß sie sich
wieder erholt hatte. Zunächst brachte sie es zuwege, daß Frau
Rollet, die Amme, die sichs angewöhnt hatte, Tag für Tag mit ihren
Säuglingen und Ziehkindern und einem kannibalischen Appetit in der
Küche zu erscheinen, von dannen gejagt wurde. Sodann schüttelte sie
sich die Familie Homais vom Halse, nach und nach auch die andern
regelmäßigen Besucherinnen. Sogar in die Kirche ging sie seltener,
zur großen Freude des Apothekers, der ihr daraufhin
freundschaftlichst erklärte:
»Ich dachte schon, Sie seien eine Betschwester geworden!«
Bournisien kam nach wie vor alle Tage nach
der Katechismusstunde. Am liebsten blieb er im Freien, im »Hain«,
wie er die Laube scherzhaft zu nennen pflegte. Um dieselbe Zeit
kehrte auch Karl meist heim. Beiden war warm, und so bekamen die
beiden Männer eine Flasche Apfelsekt vorgesetzt, den sie »auf die
völlige Genesung der gnädigen Frau« tranken.
Öfters fand sich auch Binet ein, das heißt: er saß etwas tiefer,
vor dem Garten, am Bache, um zu krebsen. Bovary lud ihn zu einer
kleinen Erfrischung ein. Binet war ein Meister im Aufbrechen von
Sektflaschen.
»Zunächst muß man die Bulle senkrecht auf den Tisch stellen,«
dozierte er, indem er selbstbewußt um sich blickte, »dann
zerschneidet man die Bindfäden, und dann läßt man dem Pfropfen
ganz, ganz sachte, nach und nach Luft. Sooo!«
Aber bei dieser Vorführung spritzte der Sekt öfters der ganzen
Gesellschaft in die Gesichter, und der Priester unterließ es
niemals, behaglich schmunzelnd den Witz zu machen:
»Seine Vortrefflichkeit springt einem buchstäblich in die
Augen!«
Er war wirklich ein guter Mensch. Er hatte nicht einmal etwas
dagegen, als der Apotheker
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