Madame Bovary
neue Postverbindung zu eröffnen, die den alten
Rumpelkasten des Goldnen Löwen unbedingt außer Konkurrenz stellen
sollte, indem sie schneller führe, billiger wäre und Eilgut
bestelle. Damit wollte er den ganzen Handel von Yonville in seine
Hände bringen.
Karl grübelte oftmals darüber nach, wie er die beträchtliche
Wechselschuld in einem Jahre wohl tilgen könne. Er kam dabei auf
allerhand Möglichkeiten. Sollte er sich an seinen Vater wenden oder
irgend etwas verkaufen? Aber ersteres hatte vermutlich keinen
Erfolg, und zu verkaufen gab es nichts. Er mochte sich sonst noch
ausdenken, was er wollte: überall drohten die größten
Schwierigkeiten. Und so schenkte er sich nur allzu gern weitere
unerfreuliche Überlegungen. Er redete sich ein, er vernachlässige
seine Frau, wenn er ihr nicht all sein Dichten und Trachten widme.
Er wollte an nichts andres denken, selbst wenn ihr dadurch kein
Abbruch geschähe.
Der Winter war streng. Emmas Genesung schritt nur langsam
vorwärts. Als das Wetter wärmer wurde, schob man sie in
ihrem Lehnstuhl an das Fenster, und zwar
an das nach dem Marktplatze zu gelegene. Das andre mit dem Blick in
den Garten war ihr jetzt verleidet; deshalb mußte seine Jalousie
beständig heruntergelassen bleiben. Sie bestimmte, daß ihr
Reitpferd verkauft werden solle. Alles, was ihr früher lieb
gewesen, war ihr nunmehr zuwider. Sie kümmerte sich um nichts mehr
als um ihre eigene Person. Die kleinen Mahlzeiten nahm sie in ihrem
Bett ein. Manchmal klingelte sie dem Mädchen, um sich die Arznei
reichen zu lassen oder um mit ihm zu plaudern. Der Schnee auf dem
Dache der Hallen warf seinen hellen, immer gleichen Widerschein in
das Zimmer. Dann kamen Regentage. Sie empfand eine Art Angst vor
den sich alle Tage wiederholenden unausbleiblichen kleinen und
kleinsten Ereignissen, die sie eigentlich gar nichts angingen, am
meisten vor der allabendlichen Ankunft der Post im Goldnen Löwen.
Dann redete die Wirtin laut, allerlei andre Stimmen lärmten
dazwischen, und die Laterne Hippolyts, der unter den Koffern auf
dem Wagenverdeck herumsuchte, leuchtete wie ein Stern durch die
Dunkelheit. Um die Mittagszeit kam Karl nach Hause, dann ging er
wieder. Sie trank ihre Bouillon. Um fünf Uhr, wenn es zu dämmern
begann, kamen die Kinder aus der Schule; sie klapperten mit ihren
Holzschuhen über das Trottoir, und im Vorübergehen schlug eins wie
das andere mit dem Lineal gegen die eisernen Riegel der
Fensterläden.
Um diese Zeit pflegte sich der Pfarrer einzustellen. Er
erkundigte sich nach ihrem Befinden, erzählte ihr Neuigkeiten und
ermahnte sie zur Frömmigkeit in gefälligem Plaudertone. Schon der
Anblick der Soutane hatte für Emma etwas Beruhigendes.
Eines Tages, als ihre Krankheit am schlimmsten war, hatte sie
nach dem Abendmahl verlangt, im Glauben, ihr letztes Stündlein sei
gekommen. Während man im Gemach die nötigen Vorbereitungen zu
dieser Zeremonie traf, die mit Arzneiflaschen bedeckte Kommode in einen Altar wandelte und den Fußboden mit
Blumen bestreute, da war es ihr, als überkäme sie eine
geheimnisvolle Kraft, die ihr ihre Schmerzen, alle Empfindungen und
Wahrnehmungen nahm. Sie war wie körperlos geworden, sie hegte keine
Gedanken mehr, und ein neues Leben begann ihr. Sie hatte das
Gefühl, als schwebe ihre Seele gen Himmel, als verlösche sie in der
Sehnsucht nach dem ewigen Frieden wie eine Opferflamme über
verglimmendem Räucherwerk. Man besprengte ihr Bett mit Weihwasser.
Der Priester nahm die weiße Hostie aus dem heiligen Ciborium. Halb
ohnmächtig vor überirdischer Lust, öffnete Emma die Lippen, um den
Leib des Heilands zu empfangen, der sich ihr bot. Die Bettvorhänge
um sie herum bauschten sich weich wie Wolken, und die beiden
brennenden Kerzen auf der Kommode leuchteten ihr mit ihrem
Strahlenkranze wie Gloriolen herüber. Als sie mit dem Kopfe in das
Kissen zurücksank, glaubte sie aus himmlischen Höhen seraphische
Harfenklänge zu hören und im Azur auf goldnem Throne, umringt von
Heiligen mit grünen Palmen, Gott den Vater in aller seiner
erhabenen Herrlichkeit zu schaun. Er winkte, und Engel mit
Flammenflügeln wallten zur Erde hernieder, um sie
emporzutragen….
Diese wundervolle Vision bewahrte Emma in ihrem Gedächtnisse. Es
war der allerschönste Traum, den sie je geträumt. Sie gab sich
Mühe, das Bild immer wieder zu empfinden. Es wich ihr nicht aus der
Phantasie, aber es erschien ihr nur manchmal und in süßer
Verklärung. Ihr einst so stolzer Sinn beugte
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