Madame Bovary
sich in christlicher
Demut. Das Gefühl der menschlichen Ohnmacht ward ihr ein köstlicher
Genuß. Sie sah förmlich, wie aus ihrem Herzen der eigene Wille wich
und der hereindringenden göttlichen Gnade Tür und Tor weit öffnete.
Es gab also außer dem Erdenglück eine höhere Glückseligkeit und
über aller Liebe hienieden eine andre
erhabenere, ohne Schwankungen und ohne Ende, eine Brücke in das
Ewige! In neuen Illusionen erträumte sie sich über der Erde ein
Reich der Reinheit, einen Vorhimmel. Dort zu weilen, ward ihre
Sehnsucht. Sie wollte eine Heilige werden. Sie kaufte sich
Rosenkränze und trug Amulette. Ihr größter Wunsch war, in ihrem
Zimmer, zu Häupten ihres Bettes, einen Reliquienschrein mit
Smaragden zu besitzen. Den wollte sie dann alle Abende küssen.
Der Pfarrer wunderte sich über Emmas Wandlung, verhehlte sich
jedoch nicht, daß diese allzu inbrünstige Frömmigkeit sehr leicht
in Überschwenglichkeit und Ketzerei ausarten könne. Aber er war
kein Seelenkenner, zumal außergewöhnlichen Erscheinungen gegenüber.
Deshalb wandte er sich an den Buchhändler des Erzbischofs und bat
ihn, ihm ›ein passendes Erbauungsbuch für eine gebildete
Frauensperson‹ zu schicken. Mit der größten Gleichgültigkeit, als
handle es sich darum, irgendwelchen Krimskram an einen Kamerunneger
zu versenden, packte der Buchhändler alle möglichen gerade
vorrätigen frommen Schriften in ein Paket: Katechismen in Form von
Frage und Antwort, Streitschriften aufgeblasener Dogmatiker und
frömmelnde Romane in rosa Einbändchen und süßlichem Stil,
verbrochen von dichtenden Schulmeistern oder blaustrümpfigen
Betschwestern, mit Titeln wie: ›Die Herzpostille‹, ›Der Weltmann zu
Füßen Mariä. Von Herrn von * * *, Ritter mehrerer Orden‹,
›Voltaires Ketzereien zum Gebrauch für die Jugend‹, usw. usw.
Emma war seelisch noch viel zu schwach, um sich mit geistigen
Dingen ernstlich befassen zu können. Überdies stürzte sie sich auf
diese Bücher mit allzu großem Bedürfnis nach wirklicher Erbauung.
Die Starrheit der kirchlichen Lehren empörte sie, die Anmaßungen
der Polemik stießen sie ab, und die Intoleranz, mit der ihr
unbekannte Menschen verfolgt wurden, mißfiel ihr. Die
Romane, in denen profane Dinge durch
religiöse Ideen aufgeputzt waren, entbehrten ihr zu sehr auch nur
der geringsten Weltkenntnis. Sie verschleierten die Realitäten des
Lebens, für deren Brutalität sie viel lieber literarische Beweise
gefunden hätte. Trotzdem las sie weiter, und wenn ihr eins der
Bücher aus den Händen glitt, dann wähnte sie den zartesten
Weltschmerz der katholischen Mystik zu empfinden, wie ihn nur die
übersinnlichsten Seelen zu verspüren imstande sind.
Das Andenken an Rudolf hatte sie in die Tiefen ihres Herzens
begraben; darin ruhte es unberührter und stiller denn eine
ägyptische Königsmumie in ihrer Kammer. Aus dieser großen
eingesargten Liebe drang ein leiser, alles durchströmender Duft von
Zärtlichkeit in das neue reine Dasein, das Emma führen wollte. Wenn
sie in ihrem gotischen Betstuhl kniete, richtete sie an ihren Gott
genau die verliebten Worte, die sie einst ihrem Geliebten
zugeflüstert hatte in den Ekstasen des Ehebruchs. Damit wollte sie
der göttlichen Gnade teilhaftig werden. Aber vom Himmel her kam ihr
keine Tröstung, und sie erhob sich mir müden Gliedern und dem
leeren Gefühl, namenlos betrogen worden zu sein. Dieses Suchen,
dachte sie bei sich, sei wiederum ein Verdienst, und im Hochmut
ihrer Selbsterniedrigung verglich sich Emma mit den großen Damen
der Vergangenheit, deren Ruhm ihr damals, als sie über den Szenen
aus dem Leben des Fräuleins von Lavallière träumte, aufgegangen
war, jenen Damen in ihren mit königlicher Anmut getragenen langen
kostbaren Schleppkleidern, die in einsamen Stunden zu Füßen Christi
ihre vom Leben verwundeten Herzen ausgeweint hatten.
Nun wurde sie über die Maßen mildtätig. Sie nähte Kleider für
die Armen, schickte Wöchnerinnen Brennholz, und als Karl eines
Tages heimkam, fand er in der Küche drei Gassenjungen, die Suppe
aßen. Die kleine Berta wurde wieder ins Haus genommen; Karl hatte sie während der Krankheit seiner Frau von
neuem zu der Amme gegeben. Nun wollte ihr Emma das Lesen
beibringen. Wenn das Kind weinte, regte sie sich nicht mehr auf. Es
war eine Art Resignation über sie gekommen, eine duldsame Nachsicht
gegen alles. Ihre Sprache ward voll gewählter Ausdrücke, selbst
Alltäglichkeiten gegenüber.
Die alte Frau
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