Madame Bovary
verzaubert an.
Der Morgen nach der Heimkehr war ihr immer gräßlich, und noch
qualvoller wurden ihr die folgenden Tage durch die Ungeduld, mit
der sie nach ihrem Glücke lechzte. Sie verging fast vor
Lüsternheit, unter wollüstigen Erinnerungen, bis alle ihre
Sehnsucht am siebenten Tage in Leos zärtlichen Armen befriedigt
wurde. Seine eigne, heiße Sinnlichkeit verbarg sich unter
leidenschaftlicher Bewunderung und inniger Dankbarkeit. Seine
anbetungsvolle stille Liebe war Emmas Entzücken. Sie hegte und
pflegte sie mit tausend Liebkosungen, immer in Angst, sein Herz zu
verlieren.
Oft sagte sie ihm mit weicher,
melancholischer Stimme:
»Ach du! Du wirst mich verlassen! Du wirst dich verheiraten!
Wirst es machen wie alle andern!«
»Welche andern?«
»Wie alle Männer, meine ich.«
Ihn sanft zurückstoßend, fügte sie hinzu:
»Ihr seid alle gemein!«
Eines Tages führten sie ein philosophisches Gespräch über die
menschlichen Enttäuschungen, als sie plötzlich, um seine Eifersucht
auf die Probe zu stellen oder auch aus allzu starkem
Mitteilungsbedürfnis, das Geständnis machte, daß sie vor ihm einen
andern geliebt habe.
»Nicht wie dich!« fügte sie schnell hinzu und schwor beim Haupte
ihres Kindes, daß es »zu nichts gekommen« sei.
Der junge Mann glaubte ihr, fragte sie aber doch, wo der
Betreffende jetzt sei.
»Er war Schiffskapitän, mein Lieber!«
Log sie das, um jede Nachforschung zu vereiteln oder um sich ein
gewisses Ansehen zu verleihen, dieweil ein kriegerischer und gewiß
vielumworbener Mann zu ihren Füßen gelegen haben sollte?
In der Tat empfand der Adjunkt etwas wie das Bewußtsein der
Inferiorität. Am liebsten hätte er gleichfalls Epauletten, Orden
und Titel getragen. Alle diese Dinge mußten ihr gefallen, das sah
er deutlich an ihrem Hang zum Luxus.
Dabei verschwieg ihm Emma noch einen großen Teil ihrer ins
Großartige gehenden Wünsche; zum Beispiel, daß sie gern einen
blauen Tilbury mit einem englischen Vollblüter und einem Groom in
schicker Livree gehabt hätte, um in Rouen spazieren zu fahren.
Diesen Einfall verdankte sie Justin, der sie einmal flehentlich
gebeten hatte, ihn als Diener in ihren Dienst zu nehmen. Wenn die Nichterfüllung dieser Laune ihr auch
die Seligkeit des Wiedersehns nicht weiter trübte, so verschärfte
sie doch zweifellos die Bitterkeit der Trennung.
Oft, wenn sie zusammen von Paris plauderten, sagte sie
leise:
»Ach, wenn wir dort leben könnten!«
»Sind wir denn nicht glücklich?« erwiderte Leo zärtlich und
strich mit der Hand liebkosend über ihr Haar.
»Doch! Du hast recht! Ich bin töricht. Küsse mich!«
Gegen ihren Gatten war sie jetzt liebenswürdiger denn je. Sie
bereitete ihm seine Lieblingsgerichte und spielte ihm nach Tisch
Walzer vor. Er hielt sich für den glücklichsten Mann der Welt. Emma
lebte in völliger Sorglosigkeit. Aber eines Abends sagte er
plötzlich:
»Nicht wahr, du hast doch bei Fräulein Lempereur Stunden?«
»Ja!«
»Merkwürdig! Ich habe sie heute bei Frau Liégeard getroffen und
sie nach dir gefragt. Sie kennt dich gar nicht.«
Das traf sie wie ein Blitzstrahl. Trotzdem erwiderte sie
unbefangen:
»Mein Name wird ihr entfallen sein.«
»Oder es gibt mehrere Lehrerinnen dieses Namens in Rouen, die
Klavierstunden geben«, meinte Karl.
»Das ist auch möglich!«
Plötzlich sagte Emma:
»Aber ich habe ja ihre Quittungen. Wart mal! Ich werde dir
gleich eine bringen.«
Sie ging an ihren Schreibtisch, riß alle Schubfächer auf, wühlte
in ihren Papieren herum und suchte so eifrig, daß Karl sie bat,
sich wegen der dummen Quittungen doch nicht soviel Mühe zu
machen.
»Ich werde sie schon finden!« beharrte sie.
In der Tat fühlte Karl am Freitag darauf,
als er sich die Stiefel anzog, die bei seinen Kleidern in einem
finsteren Gelaß zu stehen pflegten, zwischen Stiefelleder und
Strumpf ein Stück Papier. Er zog es hervor und las:
»Quittung.
Honorar für drei Monate Klavierstunden, nebst Auslagen für
verschiedene beschaffte Musikalien: 65, – Frkn.
Dankend erhalten
Friederike Lempereur,
Musiklehrerin.«
»Zum Kuckuck! Wie kommt denn das in meinen Stiefel?«
»Wahrscheinlich«, erwiderte Emma, »ist es aus dem Karton mit den
alten Rechnungen gefallen, der auf dem obersten Regal steht.«
Von nun an war ihre ganze Existenz nichts als ein Netz von
Lügen. Sie hüllte ihre Liebe darein wie in einen Schleier, damit
niemand sie sähe. Aber auch sonst wurde ihr das Lügen geradezu zu
einem Bedürfnis.
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