Madame Bovary
weitem sah er schon den Wagen seines Chefs auf der Straße
halten. Ein Mann in leinenem Kittel stand daneben und hielt das
Pferd. Der Apotheker und der Notar plauderten miteinander. Man
wartete auf ihn.
»Lassen Sie sich noch einmal umarmen!« sagte Homais, Tränen in
den Augen. »Hier ist Ihr Mantel, mein lieber Freund! Erkälten Sie
sich unterwegs nicht! Schonen Sie sich recht und nehmen Sie sich
ordentlich in acht!«
»Einsteigen, Herr Düpuis!« mahnte der Notar.
Der Apotheker beugte sich über das Spritzleder und stammelte mit
tränenerstickter Stimme nichts als die beiden wehmütigen Worte:
»Glückliche Reise!«
»Guten Abend, Herr Apotheker!« rief Guillaumin. »Los!«
Die beiden fuhren weg, und Homais wandte sich heimwärts.
Frau Bovary hatte das nach dem Garten gehende Fenster ihres
Zimmers geöffnet und betrachtete die Wolken. In der Richtung nach
Rouen, nach Westen zu, standen sie zusammengeballt. Leichteres
finsteres Gewölk zog von daher im raschen Fluge heran,
durchleuchtet von schrägen Sonnenstrahlen, die wie die goldnen
Strahlenbündel einer aufgehängten Trophäe hervorschossen. Der
übrige wolkenlose Teil des Himmelszeltes war weiß wie Porzellan.
Ruckweise Windstöße beugten die Häupter der Pappeln; plötzlich
rauschte Regen herab und prasselte durch das grünschimmernde
Laubwerk. Bald kam die Sonne wieder heraus. Die Hennen gackerten. Die Spatzen schüttelten ihre Flügel auf
dem nassen Gezweig, und in den Wasserrinnen auf dem sandigen Boden
schwammmen rote Akazienblüten.
»Wie weit mag er nun schon sein!« dachte sie.
Halb sieben, beim Essen, erschien Homais gewohnterweise.
»Na,« sagte er, indem er sich an den Tisch setzte, »unsern
jungen Freund hätten wir glücklich verfrachtet!«
»Wie man mir berichtet hat«, gab der Arzt zur Antwort. Sich auf
seinem Stuhle nach ihm wendend, fuhr er fort: »Und was gibts bei
Ihnen Neues?«
»Nichts weiter. Meine Frau war heute nachmittag nur ein bißchen
aufgeregt. Sie wissen, die Frauen sind immer gleich aus dem
Häuschen. Und meine ganz besonders! Aber man soll ihnen daraus
keinen Vorwurf machen. Ihre Nerven sind eben zarter besaitet als
unsre.«
»Der arme Leo,« bemerkte Karl, »wie wirds ihm in Paris ergehen?
Wird er sich dort einleben?«
Frau Bovary seufzte.
»Natürlich!« meinte der Apotheker und schnalzte mit der Zunge.
»Feine Soupers! Maskenbälle! Sekt! Daran gewöhnt man sich schon,
versichre ich Ihnen.«
»Ich glaube nicht, daß er unsolid werden wird«, warf Bovary
ein.
»Gott bewahre!« entgegnete Homais lebhaft. »Aber mit den Wölfen
wird er halt heulen müssen. Sonst wird er als Duckmäuser
verschrien. Sie haben keine Ahnung, was diese Kerlchens im
Studentenviertel für ein flottes Leben führen! Mit ihren kleinen
Mädchen! Übrigens sind die Studenten in Paris überall gern gesehen.
Wenn einer nur ein bißchen gesellige Talente hat, stehen ihm die
allerbesten Kreise offen. Und es gibt sogar in der Vorstadt
Saint-Germain feine Damen, die sich Studenten zu Liebsten nehmen, und das gibt ihnen dann die beste
Gelegenheit, sich reich zu verheiraten.«
»Das mag schon sein,« sagte der Arzt, »ich habe nur Angst, er …
wird … dort …«
»Sehr richtig,« unterbrach ihn der Apotheker, »das ist die
Kehrseite der Medaille! In Paris, da muß man sich fortwährend die
Taschen zuhalten. Zum Beispiel, Sie sitzen in einer öffentlichen
Anlage. Nimmt da jemand neben Ihnen Platz, anständig angezogen,
womöglich ein Ordensbändchen im Knopfloch. Man könnte ihn für einen
Diplomaten halten. Er spricht Sie an. Sie kommen ins Plaudern. Er
bietet Ihnen eine Prise an oder hebt Ihnen den Hut auf. So wird man
intimer. Er nimmt Sie mit ins Café, ladet Sie in sein Landhaus ein,
macht Sie bei einem Glas Wein mit Tod und Teufel bekannt – und das
Ende vom Liede: er pumpt Sie an oder verstrickt Sie in gefährliche
Abenteuer.«
»So ist es!« gab Karl zu. »Aber ich dachte vor allem an die
Krankheiten, die dem Studenten aus der Provinz in der Großstadt
drohen. Zum Beispiel … der Typhus.«
Emma zuckte zusammen.
»Der kommt von der gänzlich veränderten Lebensweise«, fuhr
derApotheker fort, »und der dadurch hervorgebrachten Umwälzung des
ganzen Organismus. Und dann denken Sie an das Pariser Wasser! An
das Essen in den Restaurants! Diese starkgewürzten Speisen
verderben schließlich das Blut. Man mag sagen, was man will, mit
einer guten Hausmannskost sind sie nicht zu vergleichen. Ich für
meinen Teil, ich schätze von
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