Madame Bovary
nicht in seinem Laden. Er gab Rudolf allerlei
gute Ratschläge.
»Es passiert so leicht ein Malheur!« sagte er. »Reiten Sie
vorsichtig! Sind die Tiere fromm?«
Emma vernahm über sich ein Geräusch. Es war Felicie, die mit der
Hand gegen eine Fensterscheibe trommelte, um der
kleinen Berta einen Spaß zu bereiten. Das
Kind warf der Mutter ein Kußhändchen zu. Die Reiterin winkte mit
der Gerte.
»Viel Vergnügen!« rief Homais. »Ja recht vorsichtig! Recht
vorsichtig!«
Er sah den Wegreitenden noch lange nach und schwenkte grüßend
mit seiner Zeitung.
Sobald Emmas Pferd weichen Boden unter sich fühlte, fing es von
selbst an zu galoppieren. Da sprengte auch Rudolf sein Pferd an.
Hin und wieder wechselten sie ein Wort. Das Kinn ein wenig
eingezogen, die hochgenommene linke Hand mit den Zügeln nach dem
Widerrist zu vorhaltend, so überließ sie sich der wiegenden
Galoppade.
Es ging die Anhöhe hinauf, immer im Galopp. Oben parierten die
Gäule plötzlich. Emmas langer blauer Schleier flatterte weiter.
Es war einer der ersten Oktobertage. Nebel lag über den Fluren.
In langen Schwaden beengten sie den Gesichtskreis und ließen die
Hügel nur in Umrißlinien erkennen. Hin und wieder rissen die Nebel
auseinander, flogen wie in Fetzen auf und zerstoben. Dann erblickte
man durch die Lücken in der Ferne die Dächer von Yonville im
Sonnenscheine, die Gärten am Bachufer, die Gehöfte und Hecken und
den Kirchturm. Emma gab sich Mühe, ihr Haus herauszufinden, und
noch nie war ihr der armselige Ort, in dem sie da lebte, so klein
vorgekommen. Von der Höhe, auf der sie hielten, glich die ganze
Niederung einem ungeheuer großen, fahlen, verdunstenden See. Die
buschigen Bäume, die hie und da aus ihm herausragten, sahen wie
schwarze Riffe aus, und die Reihen der hohen Pappeln wie lange
Wellenzüge, die der Wind kräuselt.
Über dem Rasen unter den Tannen sickerte braunes Licht durch die
laue Luft. Der Boden, rötlich wie zerblätterter Tabak,dämpfte die Tritte. Abgefallene Tannenzapfen rollten
über den Weg, von den Hufen berührt.
Rudolf und Emma ritten den Waldsaum entlang. Ab und zu sah sie
zur Seite, um seinem Blicke zu entgehen; dann glitten die Stämme
der Bäume, einer nach dem andern, so rasch an ihr vorüber, daß die
unaufhörliche Wiederholung sie halb schwindlig machte. Die Pferde
keuchten.
Gerade, als sie in den Wald kamen, trat die Sonne hervor.
»Gott ist mit uns!« sagte Rudolf.
»Glauben Sie denn an ihn?« fragte sie.
»Galopp! Galopp!« rief er von neuem und schnalzte mit der Zunge.
Beide Tiere gehorchten.
Hohe Farne, wie sie zu beiden Seiten des Pfades standen,
verfingen sich in Emmas Steigbügel. Rudolf, der zur Linken Emmas
ritt, bückte sich jedesmal im Weiterreiten und befreite sie wieder.
Ein paarmal galoppierte er ganz dicht neben ihr hin, um
überhängende Zweige von ihr abzuwehren; dann fühlte sie, wie sein
rechtes Knie ihr linkes Bein berührte.
Inzwischen war der Himmel ganz blau geworden. Kein Blatt rührte
sich. Sie kamen über weite Felder, ganz voll blühenden Heidekrauts,
und hie und da leuchteten unter dem grauen und gelben und
goldbraunen Blätterwerk der Bäume Flecke von wilden Veilchen auf.
Im Gebüsch regte sich öfters leiser Flügelschlag. Leise krächzend
flogen Raben um die Eichen.
Sie saßen ab. Rudolf band die Pferde an. Emma schritt ihm
voraus, den Weg weiter, über Moos in alten Wagenspuren. Ihr langes
Reitkleid erschwerte ihr das Gehen, obwohl sie es mit der einen
Hand aufgerafft hatte. Rudolf ging hinter ihr. Er sah zwischen dem
schwarzen Tuch und den schwarzen Stiefeln das lockende Weiß ihres
Strumpfes, das er wie ein Stück Nacktheit empfand.
Emma blieb stehen.
»Ich bin müde!« sagte sie.
»Gehen wir weiter! Versuchen Sie es!« bat er. »Mut!«
Hundert Schritte weiter blieb sie abermals stehen. Der blaue
Schleier, der ihr von ihrem Herrenhute bis zu den Hüften
herabwallte, übergoß ihr Gesicht mit bläulichem Licht. Es sah aus,
wie in das Blau des Himmels getaucht.
»Wohin gehen wir denn?«
Er gab keine Antwort. Sie atmete heftig. Rudolf hielt Umschau
und biß sich in den Schnurrbart. Sie standen in einer Lichtung, in
der gefällte Baumstämme dalagen. Sie setzten sich beide auf
einen.
Von neuem begann Rudolf, von seiner Liebe zu reden. Um Emma
nicht durch Überschwenglichkeit zu verprellen, blieb er ruhig,
ernst, schwermütig. Sie hörte ihm gesenkten Hauptes zu, während sie
mit der Spitze ihres Stiefels den Waldboden aufscharrte. Aber bei
dem
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