Madame Bovary
Satze:
»Sind unsre beiden Lebenspfade nunmehr nicht in einen
zusammengelaufen?« unterbrach sie ihn:
»Nein! Das wissen Sie doch! Es ist unmöglich!«
Sie stand auf und wollte gehen. Er umfaßte ihr Handgelenk, und
so blieb sie. Sie sah ihn eine kleine Weile liebevoll und mit
feucht schimmernden Augen an, dann sagte sie hastig:
»Genug! Reden wir nicht mehr davon! Gehen wir zurück zu unsern
Pferden!«
Rudolf machte eine Bewegung zornigen Ärgers. Sie
wiederholte:
»Gehen wir zu unsern Pferden!«
Da lächelte er seltsam und näherte sich ihr mit vorgestreckten
Händen, zusammengebissenen Zähnen und starrem Blicke. Sie wich
zitternd zurück und stammelte:
»Ich fürchte mich vor Ihnen! Sie tun mir
weh! Gehen wir zurück!«
»Wenn es sein muß!« gab er zur Antwort. Sein Gesichtsausdruck
wandelte sich. Er sah wieder ehrerbietig, zärtlich, schüchtern
aus.
Emma reichte ihm den Arm. Sie traten den Rückweg an.
»Was hatten Sie denn vorhin?« fragte er. »Was war es? Ich habe
Sie nicht begriffen. Gewiß haben Sie mich mißverstanden. Sie
thronen in meinem Herzen wie eine Madonna, hoch und hehr und
unerreichbar! Aber ich kann ohne Sie nicht leben! Ich muß Ihre
Augen sehen, Ihre Stimme hören, Ihre Gedanken wissen! Seien Sie
meine Freundin, meine Schwester, mein Schutzengel!«
Er schlang seinen Arm um ihre Taille. Sie versuchte, sich ihm
sanft zu entwinden, aber er ließ sie nicht los. So gingen sie
nebeneinander hin. Da hörten sie ihre Pferde, die Blätter von den
Bäumen rupften.
»Noch nicht!« bat Rudolf. »Reiten wir noch nicht zurück! Bleiben
Sie!«
Er zog sie mit sich vom Wege ab in die Nähe eines kleinen
Weihers, dessen Spiegel mit Wasserlinsen bedeckt war. Zwischen
Schilf träumten verwelkte Wasserrosen. Vor dem Geräusch ihrer
Schritte im Gras hüpften die Frösche davon und verschwanden.
»Es ist nicht recht von mir … es ist nicht recht von mir! Ich
bin toll, daß ich auf Sie höre!«
»Warum? Emma! Emma!«
»Ach, Rudolf!« flüsterte die junge Frau, indem sie sich an ihn
anschmiegte.
Das Tuch ihres Jacketts lag dicht am Samt seines Rockes. Sie bog
ihren weißen Hals zurück, den ein Seufzer schwellte.
Halb ohnmächtig und tränenüberströmt, die
Hände auf ihr Gesicht pressend und am ganzen Leib zitternd, gab sie
sich ihm hin….
Die Dämmerung sank herab. Die Sonne stand blendend am Horizont
und flammte in den Zweigen. Hier und da, um die beiden herum, im
Laub und auf dem Boden, tanzten lichte Flecke, als hätten Kolibris
im Vorbeifliegen ihre schimmernden Federn verloren. Rings tiefes
Schweigen. Die Bäume atmeten süße Melancholie.
Emma fühlte, wie ihr Herz wieder klopfte, wie ihr das Blut durch
den Körper kreiste.
In der Ferne, hinter dem Walde, über der Höhe ertönte ein
langgezogener seltsamer Schrei, unaufhörlich. Dem lauschte sie
schweigend. Er mischte sich in die verklingenden Schwingungen ihrer
zuckenden Nerven und ward zu Musik….
Rudolf rauchte eine Zigarette und stellte mit Hilfe seines
Taschenmessers einen zerrissenen Zügel wieder her.
Auf demselben Wege ritten sie nach Yonville zurück. Sie sahen im
weichen Boden die Spuren ihres Hinrittes, die Huftritte beider
Pferde dicht beieinander, sie erkannten die Büsche wieder und
einzelne Steine am Rain. Nichts um sie herum hatte sich verändert,
und doch kam es Emma vor, als sei etwas höchst Bedeutsames
geschehen, als seien die Berge von ihrem Platze geschoben. Von Zeit
zu Zeit beugte sich Rudolf zu ihr herüber, um ihre rechte Hand zu
erfassen und zu küssen. Er fand Emma im Sattel entzückend
aussehend, bei ihrem geraden Sitz, ihrer schlanken Figur, der
schicken Haltung ihres rechten Knies, ihren von der scharfen Luft
geröteten Wangen, – alles im Abendrot.
Als sie Yonville erreichten, wurde ihr Pferd unruhig. Einmal
machte es sogar kehrt. Aus allen Fenstern sah man ihr zu.
Beim Essen machte Karl die Bemerkung, Emma sähe vorzüglich aus.
Als er sich aber darnach erkundigte, wie der Spazierritt
gewesen sei, tat sie, als hätte sie die
Frage überhört. Sie stützte sich auf die Ellenbogen und starrte
über ihren Teller weg in die flackernden Kerzen.
»Emma!«
»Was denn?«
»Weißt du, ich bin heute nachmittag beim Pferdehändler gewesen.
Er hat eine recht gut aussehende alte Mutterstute zu verkaufen. Die
Knie sind nur ein bißchen durch. Ich bin überzeugt, für hundert
Taler …« Da sie nichts dazu sagte, fuhr er nach ein paar
Augenblicken fort: »Ich habe gedacht, es sei dir erwünscht, und
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