Madame Butterflys Schatten
auf.
»Ich brauche Unterweisung in einer unbedeutenden Angelegenheit …« Sie warf einen Blick auf seinen mit Papieren übersäten Schreibtisch. »Aber wie ich sehe, haben Sie zu tun. Ein andermal.«
Er ertrank in einer Flut von Anträgen von Japanern, die auf Arbeit und ein besseres Leben in Amerika hofften, es mussten jede Menge Angaben überprüft und Stempel unter Dokumente gesetzt werden, aber dennoch forderte er sie auf, sich zu setzen.
»Unterweisung?«
»Sharpless-san, ich möchte einen …«, sie wechselte ins Englische, »amerikanischen Garten.«
»Ja?«
»Bitte helfen Sie mir.« Sie hielt inne und kehrte ins Japanische zurück. »Ich möchte, dass Sie mir sagen, was ich pflanzen muss.«
»Es geht nicht nur darum, was du pflanzt. Es geht auch darum, wie du es pflanzt. Es gibt solche und solche Gärten.«
»Ich möchte einen schönen Garten, aber keinen japanischen.«
Sharpless, der sich diesem asketischen Land, in dem Zurückhaltung oberstes Gebot war, mit jedem Tag stärker verbunden fühlte, fand diesen Wunsch widersinnig. Er lächelte traurig.
»Na gut, wenn du das wirklich willst.«
Er erhob sich von seinem Schreibtisch und rief eine Rikscha.
»Wohin fahren wir?«
»Das wirst du gleich sehen.«
Unter Ächzen fuhr sie der Rikschafahrer auf der kurvigen Straße den Hügel hinauf. Zum ersten Mal besuchte Cho-Cho die andere Seite des Hafens, und sie blickte sich neugierig um: Die Häuser waren größer, zweigeschossig, aus Stein und mächtigen Holzbalken erbaut, mit tiefen Veranden. Das hier war ein Viertel für wohlhabende gaijin , eine ausländische Enklave. Allerdings hatte sie noch keinen interessanten Garten entdeckt, als die Rikscha schließlich vor einem imposanten Haus mit einem ausladenden Ziegeldach stehen blieb.
»Dieses Haus hat ein Mann namens Thomas Glover gebaut.«
»Ein Amerikaner?«
»Er stammte aus Aberdeen.«
»Ist das in Amerika?«
»Nun, nicht so ganz …«
»Aber ich will einen amerikanischen Garten.«
»Vertrau mir«, sagte er und führte sie durch das Tor.
Links und rechts der gepflasterten Wege lagen riesige runde oder ovale Beete voller farbenprächtiger Blumen, und dazwischen standen blühende Bäume.
»Wie heißen diese Blumen?« Sie deutete auf einen mit orangefarbenen Blüten gesprenkelten Teppich aus sattgrünen Blättern.
»Ringelblumen«, sagte Sharpless, ohne sich dessen wirklich sicher zu sein. »Ich glaube, das sind Ringelblumen. Das dort drüben sind Rosen. Manche von ihnen duften.« Mit Rosen, die für Japaner nichts weiter als Büsche mit Dornen und langweiligen Blüten waren, kannte er sich besser aus.
Er ging mit ihr durch den Garten, und sie lief von Beet zu Beet, umkreiste die Blüten wie ein Schmetterling, von dem sie ihren Namen hatte. Dann flatterte sie vor ihm über den gewundenen Pfad und verschwand zwischen ein paar Sträuchern, die ihre zierliche Gestalt seinem Blick entzogen. Als er sie schließlich wieder einholte, stand sie reglos vor der kleinen Statue einer Frau im Kimono am Wegesrand. Sharpless fluchte im Stillen. Die Statue hatte er völlig vergessen.
»Wer ist das?«
»Mr. Glovers Frau.
»Eine Japanerin.«
»Ja.«
Die beiden Frauen standen einander gegenüber, beide im Kimono, die eine mit einem Fächer in der Hand, in anmutiger Haltung zu Stein erstarrt, die andere bald näher tretend, bald zurückweichend, die Fingerspitzen ans Gesicht gepresst, als müsste sie sich vergewissern, dass auch sie eine Frau war und Japanerin.
Auf der Rückfahrt saß sie eine Weile schweigend neben ihm. Schließlich drehte sie sich zu ihm um.
»Ich will Samen säen, aus denen amerikanische Blumen wachsen.«
»Das wird eine Zeit dauern«, sagte Sharpless vorsichtig.
»Ach, ich habe Zeit! Der Mietvertrag für das Haus gilt neunhundertneunundneunzig Jahre!« Ihr Lachen klang viel zu hell und unbekümmert. »Mein Ehemann sagt, die Flitterwochen dauern wahrscheinlich länger, als er lebt!«
Sharpless war hin und her gerissen: Er wollte sie warnen, ihr sagen, sie solle nicht allzu sehr darauf vertrauen, dass die Flitterwochen ein ganzes Leben dauern würden, der Mietvertrag konnte von einem Tag auf den anderen gekündigt werden, falls Pinkerton keine Lust mehr hatte, für das Haus aufzukommen. Aber es entsprach nicht der japanischen Art, jemandem die ungeschminkte Wahrheit zu sagen. Und woher nahm er das Recht, sich in das Leben des Mädchens einzumischen, das Risiko einzugehen, dass er eine Geschichte zerstörte, die trotz allem ein
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