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Madame Butterflys Schatten

Madame Butterflys Schatten

Titel: Madame Butterflys Schatten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lee Langley
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starke Kette gesprengt, die sich um ihn geschlungen hatte wie Efeu um den Stamm eines Baums.
    Cho-Cho stand vor dem Haus und sah dem auslaufenden Schiff durch das Fernglas nach, das er ihr geschenkt hatte. War das nicht er, der dort an Deck den Arm hob und winkte? In diesem Moment hörte sie ein leises Geräusch hinter sich und drehte sich um: Das tegashiwa -Blatt flatterte im Morgenwind auf und ab, winkte zum Abschied und flüsterte: Komm wieder.
    Als das Schiff endgültig am Horizont verschwunden war, überlief sie ein kalter Schauer, so als hätte sich plötzlich eine Eisschicht um die Sonne gelegt, und sie eilte ins Haus.
    Sie säte die Samen und wässerte die Erde. Kleine grüne Keimlinge streckten die Köpfe hervor, und wenig später folgten zu ihrer großen Freude Blätter und Knospen, die sich zu leuchtend bunten Blüten öffneten. Während sie früher immer darauf gewartet hatte, dass die Kirsch- und Pflaumenbäume und die Chrysanthemen blühten, konnte sie sich jetzt kaum sattsehen an den hübschen Kelchen, deren Farben ihr früher als zu grell, zu aufdringlich erschienen wären. Sie bestellte den Garten für Pinkertons Rückkehr. Denn natürlich würde er zurückkehren.
    Und es war nicht nur der Garten, in dem sich neues Leben regte.
    An einem der Abende, an denen Sharpless Cho-Cho besuchte, sah er, wie sie sich am anderen Ende des Gartens über ein Beet beugte und eine große orangefarbene Blüte festband, deren Stiel zu zart war, um ihr Gewicht zu tragen. Suzuki führte ihn ins Haus und blieb mit gesenktem Blick neben der Tür stehen. In den Wochen nach Pinkertons Abreise hatte er beobachten können, wie fürsorglich sie sich um Cho-Cho kümmerte, ihr jeden Wunsch von den Augen ablas, jede ihrer Bewegungen verfolgte. Doch heute war ihr breites Gesicht verschlossen, sie wirkte abweisend.
    »Stimmt etwas nicht, Suzuki?«
    »So könnte man sagen. Andererseits könnten die Dinge nicht besser stehen.«
    Er war mit den gesellschaftlichen Formen vertraut genug, um schweigend zu warten.
    »Sie bekommt ein Kind.«
    Ihnen beiden war bewusst, dass das eine ungeheuerliche Indiskretion war. Aber Suzuki, weniger naiv als ihre Herrin, war sich der Folgen dieses Umstands bewusst.
    »Wenn man Leutnant Pinkerton benachrichtigen könnte …«
    In diesem Augenblick kam Cho-Cho auf sie zu, und damit war das Gespräch beendet.
    Es hätte ihn eigentlich nicht überraschen dürfen. Genau genommen war er denn auch eher traurig als überrascht. Der Weg des Mädchens schien vorgezeichnet zu sein.
    Als ihr Zustand nicht mehr zu verbergen war, lud Cho-Cho Sharpless zum Tee ein. Es war das erste Mal, dass sie ihm die Ehre einer Teezeremonie zuteilwerden ließ. Er saß mit untergeschlagenen Beinen da, während sie vor ihm kniete und mit konzentrierten Handgriffen die kleinen Tassen, den Schöpflöffel, den pulverisierten grünen Tee und die Schale arrangierte, das Wasser erhitzte, rührte und wartete.
    Ein wenig befangen strich er seine glatten Haare zurück, die beinahe so schwarz waren wie die eines Japaners – trotz seiner fast fünfundvierzig Jahre waren noch keine Anzeichen von Grau darin zu entdecken. Sein schlanker, sehniger Körper nahm mühelos eine Haltung ein, die die meisten Ausländer für anstrengend befunden hätten. Er faltete die Hände und beobachtete ihre präzisen Bewegungen, und mit wie viel Würde sie jede einzelne Handlung vollzog.
    Auch für Pinkerton hatte sie einmal eine Teezeremonie abgehalten und ebenso wie jetzt die kürzere, nur eine Stunde dauernde Variante gewählt, doch es war ihr nicht gelungen, sie zu einer ihrer glücklichen gemeinsamen Stunden zu machen. Hinterher hatte er zu Sharpless gesagt: »Ganz schön lange Warterei für einen Schluck Spülwasser.«
    Sharpless hatte versucht, ihm zu erklären, dass diese Zeremonie jahrelange Unterweisung und Übung erforderte. » Chanoyu ist eine Kunst, ein Ritual von mystischer Bedeutung, das auf geziemende, würdevolle Weise durchgeführt werden muss.«
    Er konnte es genießen, und er genoss es auch jetzt, während er Cho-Cho dabei zusah, wie sie mit ihren kleinen Händen die Kanne hob, Wasser aufgoss, die Flüssigkeit schaumig rührte. Die Schale, die sie dafür verwendete, gehörte zu den wenigen kostbaren Dingen unter ihren Besitztümern, die an eine einst wohlhabende Familie erinnerten. Schwarze oribe -Keramik, die gut und gern drei- oder vierhundert Jahre alt sein mochte. Er bewunderte die asymmetrische Form, die Struktur der Oberfläche. Gleichzeitig

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