Madame de Maintenon
offenbar einen um den anderen Tag.
* *
Wenn es eines weiteren Beweises bedurfte, daß Scarrons flirthafter Briefwechsel mit seiner »kleinen Tigerin
154 « zumindest anfangs nicht allzu ernst gemeint war, so liefert ihn sein erstaunlicher Plan, nach Amerika zu gehen. Kaum fähig, sich zu bewegen, für seine elementarsten Bedürfnisse vollständig auf andere angewiesen, hatte der unverbesserlich optimistische Dichter sich eingeredet, in der schwülen Hitze der karibischen Inseln könne er seine Gesundheit wiedererlangen, und während der ganzen Zeit seines Briefwechsels mit Françoise hatte er immer wieder Reisepläne geschmiedet. Cabart de Villermont hatte ihn dazu durch übertriebene Geschichten von spontanen Heilungen durch das Klima, die Nahrung und die allgemeine Lebensweise auf naive oder verantwortungslose Weise ermutigt, und der verzwei
felte Scarron hatte ihm nur allzu bereitwillig geglaubt. Auch die kleineren Verführungen Amerikas – Reichtum und Freiheit – lockten ihn: wie Constant d'Aubigné und viele andere sah er in den neuen Inselkolonien ein Eldorado, in dem auch die geringste Anlage eine fantastische Vermehrung versprach, »wo der Boden Reichtum ohne Mühe erzeugt
155 , ohne Geld, ohne Steuern, ohne Wucher, ein Land des Friedens und der Fülle, wo es rund ums Jahr frisches Obst gibt und der beste Fisch billiger ist als Angelhaken und Zucker billiger als Wasser und die Töchter der Inkas zum Lieben …«
Dann war da noch eine letzte Versuchung: Die Inseln waren in jeder Hinsicht weit entfernt von den Einschränkungen und Sorgen von Paris, »meiner geliebten Stadt
156 , wo so viele gute Leute durch den Bürgerkrieg zu verarmen drohen«. Denn in ganz Frankreich wurde die Fronde durch den unbezähmbaren Prinzen von Condé in eine neue blutige Phase getrieben. Am 5. September 1651, seinem dreizehnten Geburtstag, hatte König Ludwig XIV . die Volljährigkeit erreicht; Kardinal Mazarin, noch immer im Exil, war eingeladen worden, in den königlichen Stall zurückzukehren, und Condé selbst war ausdrücklich von jeder Stellung innerhalb der neuen Regierung ausgeschlossen worden. Von seiner Hochburg Bordeaux aus hatte er begonnen, eine Streitmacht gegen den König aufzustellen, mit dem erklärten Ziel, Mazarin ein für allemal aus dem Lande zu treiben. In Paris hatte das Parlament in seinem Sinne beschlossen, einen Preis auf den Kopf des Kardinals auszusetzen, und es hatte, was für diesen noch beunruhigender war, damit begonnen, die 40 000 Bücher seiner geschätzten Bibliothek zu verkaufen, »Frucht einer siebzehnjährigen Sammeltätigkeit
157 «, wie sein verzweifelnder Bibliothekar vergeblich jammerte. Viele Pariser Künstler und Intellektuelle begannen zu packen und zu gehen, sei es aus Angst vor der Gewalt, sei es, weil wegen ausbleibender Unterstützung der Hunger drohte, aber viele warteten dennoch bis nach dem Bücherverkauf im Januar
ab. Was den Bibliothekar selbst betraf, so klappte er gegen den kalten neuen Wind seinen Kragen nach oben und machte sich auf nach Stockholm, um dort Zuflucht zu finden, wobei er von den Büchern des Kardinals Tausende für die am Erwerb interessierte junge Königin der Schweden
158 mit sich führte.
Es ist nicht bekannt, ob der gelehrte Scarron am 8. Januar 1652 aufkreuzte, um die Plünderung der großen Bibliothek Mazarins zu beobachten oder davon zu profitieren. In den Anfängen der Fronde hatte er keine starken Gefühle für oder gegen den Kardinal persönlich bekundet. Seine politische Aktivität beschränkte sich praktisch auf ein paar zahme Liedchen über »Julius Mazarin, kein Julius Caesar«, doch entschlossenere Geister hatten witzige und sehr viel bösartigere Attacken in Umlauf gebracht, die sich an den populären parodierenden Stil seiner literarischen Verse anlehnten. Diese Attacken legte man Scarron zur Last, der nichts dafür konnte, und hinfort galt er als Hauptakteur des Kampfes der Intellektuellen gegen Mazarin und folglich gegen die Regentin und Königinmutter sowie gegen den jungen König.
Die Ehrenpension von »fünfhundert Écus
159 per annum in guter und treuer Münze«, die Scarron als selbsternannter »Invalide der Königin« erhalten hatte, wurde gestrichen, worauf er einen echten Haß auf Mazarin entwickelte. Die Empörung über das ihm angetane Unrecht vermischte sich mit der Sorge um seine plötzliche Verarmung, und aus diesem giftigen Gebräu entstand eine ätzende Tirade unter dem Titel Mazarinade , in der er über den »Affen
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