Madame de Maintenon
hat: vor Jahren hatte ihr unmöglicher Vater Constant d'Aubigné sich bei seinem Vater
den exakten Betrag von 1148 Livres geborgt, und natürlich hatte er ihn nie zurückgezahlt. Sollte ihm das bei dieser Gelegenheit eingefallen sein, dann wird er auch auf einen Blick erkannt haben, daß die Tochter nicht in der Lage war, die Sünden des Vaters wiedergutzumachen, und es sieht tatsächlich so aus, als habe er einstweilen keinen weiteren Gedanken an sie verschwendet.
Dennoch war es für beide eine schicksalhafte Begegnung. In der Fünfzehnjährigen, der die Tränen in den Augen standen, hatte Scarron ein weit besseres Opiat gefunden, als ein Apotheker es ihm je beschafft hatte, und für sie leuchtete aus den blauen Glubschaugen dieses menschlichen Wracks das Licht eines hellen, noch fernen Sterns hervor.
* *
Es wird erzählt
147 , daß Scarron sein Elend zwölf Jahre zuvor durch einen Karnevalsscherz ausgelöst habe, während seiner Amtszeit als Domherr in der Provinzstadt Le Mans. Angeödet von den üblichen Karnevalsmasken und -kostümen, vielleicht auch in dem Gefühl, durch seine Soutane eingeengt zu sein, hatte er sämtliche Kleider abgeworfen und war in ein Honigfaß gesprungen, dann hatte er seine Matratze aufgerissen und sich in ihren weißen Federn gewälzt, um anschließend auf die Straße zu stürmen und jedes hübsche Mädchen, das ihm begegnete, zu belästigen. Das war den Einheimischen denn doch zu boccacciohaft. Sie hatten ihn in den Fluß getrieben, wo er sich die ganze Nacht zwischen den Binsen versteckt hielt. Er hatte sich erkältet, dann Fieber bekommen, und damit hatte die Leidensgeschichte seines Rheumatismus eingesetzt.
Zwei Jahre später hatte Scarron seinen Posten aufgegeben und war nach Paris zurückgekehrt. Vielleicht wollte er seinen sterbenden Vater pflegen – als Parlamentsrat hatte man diesem wegen seiner Frömmigkeit den Spitznamen »der Apostel« verpaßt, weil er stets die Apostelgeschichte unter
dem Arm trug; vielleicht suchte er auch ärztliche Hilfe für sein eigenes, sich verschlimmerndes Leiden. Im letzteren Fall war es nur der erste von vielen hoffnungslosen Versuchen, Heilung zu finden: der Kuraufenthalt in Bourbon, das Charité-Hospital für Gelatinebäder; Quecksilberpillen, die Muskel- und Nervenkrämpfe und, so das Gerücht, Impotenz nach sich zogen; und alle sonstigen Lotionen und Tränke aus den nahezu nutzlosen Truhen der Medizin des 17. Jahrhunderts. Scarrons Krankheit war unheilbar, und sie wurde durch die ahnungslosen Behandlungsmethoden von damals vielleicht sogar verschlimmert. Auf dem Tiefpunkt der Entmutigung ließ er sich sogar zur Kirche tragen, um dort für ein Wunder zu beten.
Als er nach Paris zurückkehrte, hatte sein Humor keinen Schaden genommen, er trug mannhaft sein Leiden und seine Verunstaltung, und zunächst hatte er in der Straße mit dem passenden Namen Rue des Mauvais-Garçons (Straße der bösen Buben) in dem lebhaften Viertel Marais und danach in der stilleren Rue d'Enfer Wohnung genommen. Der Umzug wurde von Scarrons eigener »Schwester Céleste« organisiert, einer gewissen Angélique-Céleste de Palaiseau, die Ende Dreißig war, eine bekennende Nonne und passenderweise eine der ehemaligen Geliebten Scarrons. Von einem späteren Verführer buchstäblich mit dem Baby auf dem Arm sitzengelassen, hatte sie sich um Hilfe an Scarron gewandt, und er zumindest hatte sie nicht im Stich gelassen. Das Kind war adoptiert worden, und Céleste war in ein Kloster eingetreten, wo sie recht zufrieden lebte, bis der Orden nach allzu ehrgeizigen Immobilienspekulationen der Nonnen Bankrott gemacht hatte. Die Nonnen hatten sich zerstreut, und Céleste war abermals bei Scarron gelandet, diesmal als seine Krankenschwester, ein Amt, das sie offenbar mit großer Sorgfalt und Freundlichkeit wahrgenommen hatte.
Es ist nicht bekannt, ob Françoise mit dieser zweiten gutherzigen Schwester Céleste Freundschaft geschlossen hat.
Offenbar hat sie in diesen ersten Monaten des Jahres 1651 von Scarron selbst nicht sehr viel gesehen, und die bei ihrer ersten Begegnung entstandenen Eindrücke – der von einem hübschen Landmädchen und der von einem bemitleidenswerten Invaliden – blieben eine Zeitlang unverändert. Im Frühling reiste Françoise mit Madame de Neuillant nach Niort, zurück in ihr Landhaus, wie sie es am Ende der geselligen Saison gewohnt war. Marie-Marguerite de Saint-Hermant blieb mit ihrer Familie in Paris, aber sie und Françoise schrieben einander
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