Madame de Maintenon
außerdem hatte sie eine praktische Ader: Sie würde ihn ausgezeichnet versorgen und seinen Haushalt vorzüglich führen. Was ihm auch entgegenkam: Sie war arm und besaß so gut wie nichts; sie hatte einen schlichten Geschmack und würde keine überspannten Forderungen stellen. Und es gab, obwohl sie jung und schön war, keine weiteren ernsthaften Bewerber; viele Männer bewunderten sie, und sie hätte leicht eine ausgehaltene Geliebte werden können, aber davor hatten sie bisher ihr mädchenhafter Sinn für Anstand und, wie es schien, auch eine robuste Portion Stolz bewahrt. Viel hatte Scarron ihr nicht zu bieten, aber es war zumindest mehr, als sie gegenwärtig besaß. Er wußte das, und es gab ihm den Mut, ihr den Antrag zu machen.
Der Brief mit seinem Antrag und Françoises Antwortbrief, wenn sie denn einen geschrieben hat, sind nicht erhalten. Daß sie sich die Sache sehr nüchtern überlegt hat, steht aber außer Zweifel. Sie genoß Scarrons Gesellschaft durchaus, aber sie machte sich bestimmt keine romantischen Illusionen über diesen bemitleidenswerten Mann, der mehr als alt genug war, um ihr Vater zu sein, aber zu kaum mehr in der Lage war, als sich mit einem kleinen Stock am Rücken zu kratzen und mit einer schwer lesbaren Handschrift etwas hinzukritzeln. Das Angebot einer Klostermitgift sollte vermutlich nicht ernst genommen werden; so forderte zum Beispiel das Kloster von Françoise in der Rue Saint-Jacques im Durchschnitt eine Mitgift von etwa 10 000 Livres
165 , und einen solchen Betrag hatte Scarron bestimmt nicht übrig. Ohne eine gute Mitgift hätte Françoise als Laienschwester leben müssen, also praktisch als Klostermagd, die Tag für Tag schwere körperliche Arbeit verrichtet, oder als eine kleine, unbedeutende fille séculière , die sich um die Armen und Kranken der Gemeinde kümmert.
Sie hatte beunruhigend wenige Alternativen. Vielleicht
konnte sie versuchen, zu Onkel und Tante in Mursay zurückzukehren, vorausgesetzt, sie war dort als abhängige arme Verwandte wieder willkommen; aber rechtlich war sie noch minderjährig, und das würde noch neun Jahre so bleiben; es genügte ein gehässiges Wort von Madame de Neuillant, um sie wieder aus ihrer hugenottischen Familie herauszureißen und in ein Kloster oder irgendein schreckliches hôpital zu stecken. Was blieb ihr sonst noch, wenn sie nicht wieder auf der Straße betteln wollte? Sie war hübsch und sehr jung und damenhaft und Jungfrau, und damit hatte sie natürlich die Möglichkeit, die Geliebte eines begüterten Herrn zu werden, zumindest für eine gewisse Zeit. Wenn nicht religiöse Skrupel sie davon abhielten, dann mußten ihr doch die längerfristigen Aussichten eines solchen Lebens zu denken geben: irgendwann würde man sie ohne rechtlichen Schutz allzuleicht abtun und im Stich lassen können, vielleicht mit einer Schar unehelicher Kinder, und dann würde sie als ältere Frau wie schon ihre Mutter um das nackte Überleben kämpfen müssen.
Die Ehe mit Scarron wäre auf jeden Fall eine Ehe. Sie selbst würde zumindest den Status einer Ehefrau haben, nicht den einer Geliebten und auf keinen Fall den einer bemitleidenswerten vieille fille , einer alten Jungfer, dieser »sehr geringen Person
166 in der Gesellschaft«, die mit mildtätigen Gaben mühsam über die Runden kommt, über die man lacht und auf die man herabblickt. Mit Scarron würde ihr ein unerwünschtes Intimleben erspart bleiben; so weit würde er, konnte er nicht gehen. Und er war in gewissem Sinne ein Herr, auch wenn er sich seinen Lebensunterhalt verdienen mußte. Sein Vater war Rat des Parlaments gewesen; er selbst war ein homme de lettres , vielleicht von einigen verachtet, aber dennoch von vielen bewundert. Er war mit berühmten Leuten befreundet, darunter Leute vom Hof; die Königinmutter hatte ihm einst eine Pension ausgesetzt. Er hatte Beziehungen und Talent und einen Plan, und wenn die Antillen viel
leicht nicht ganz das von ihm erhoffte Eldorado waren, so gab es in Amerika doch nicht mehr Hunger, als Françoise ihn schon in Frankreich kennengelernt hatte.
Vor allem würde die Ehe mit Scarron eine befristete Angelegenheit sein. Er war bereits über vierzig, und sein gesundheitlicher Zustand war denkbar schlecht; vor Ablauf von zehn Jahren würde sie bestimmt Witwe sein. Die Witwenschaft würde ihr wie die Ehe selbst eine bestimmte Stellung verleihen, vielleicht sogar eine Pension. Scarron besaß vielleicht eine gewisse Summe, um eine Rente für sie auszusetzen; sie
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