Madame de Maintenon
regelmäßig, und da die lettres provinciales elegant und amüsant waren, pflegte Marie-Marguerite sie zu den Salonabenden in der Rue d'Enfer mitzunehmen, wo sie sie, »von allen bewundert
148 «, der versammelten Gesellschaft vorlas, wie es damals üblich war.
Die Briefe enthüllten eine Françoise d'Aubigné, die ganz anders war als die hübsche, nichtssagende Kleine vom letzten Winter. Scarron war vermutlich ebenso überrascht wie alle anderen, auch wenn der Brief, den er jetzt an Françoise schrieb, etwas anderes andeutet, vielleicht mehr aus Galanterie als aus Wahrheitsliebe:
Mademoiselle, ich habe immer vermutet
149 , daß das kleine Mädchen, das vor sechs Monaten in einem Kleid, das ihr zu kurz war, in mein Zimmer trat und aus einem mir unbekannten Grund in Tränen ausbrach, so intelligent ist, wie es zu sein schien. Ihr Brief an Mademoiselle de Saint-Hermant ist so originell, daß … ich mich über mich selbst ärgere, Sie zuvor nicht stärker beachtet zu haben. Ich hätte es, ehrlich gesagt, nie für möglich gehalten, daß man auf den Westindischen Inseln oder im Ursulinenkloster in Niort so gut schreiben lernen kann. Sie haben sich mehr Mühe gegeben, Ihr Licht unter den Scheffel zu stellen, als die meisten, mit dem ihren zu protzen. Doch nun, da Sie erkannt sind, werden Sie sich hoffentlich nicht zieren, mir ebenso zu schreiben wie Mademoiselle de Saint-Hermant …
Françoise zierte sich nicht, möglicherweise auf Betreiben ihrer im Ränkeschmieden erfahrenen »Tante«, der Baronin de Neuillant. Françoises Briefe an Scarron sind nicht erhalten, wohl aber einige von denen, die er ihr schrieb, und sie zeigen, daß der Ton im Laufe des Briefwechsels immer galanter wird. Das bedeutete höchstwahrscheinlich nichts anderes, als daß Scarron sich freier fühlte, seinem gewohnten Hang zum Flirten zu frönen; vielleicht war es ein Ventil für die Phantasien eines einstmals notorischen Liebhabers des schönen Geschlechts, der jetzt hoffnungslos krank war. Im Laufe des Sommers wurde aus dem »kleinen Mädchen« ein »junges Mädchen« und schließlich eine quälende »abwesende Schönheit«. »Ich hätte mich mehr
150 vor Ihnen in acht nehmen sollen, als ich Sie zum ersten Mal sah«, schrieb er, »aber wie konnte ich ahnen, daß ein junges Mädchen am Ende das Herz eines alten Knaben, wie ich es bin, beunruhigen würde?«
Trotz seiner leidenschaftlichen Töne ist es ziemlich unwahrscheinlich, daß Scarron sich wirklich verliebt hatte. Das letzte Mal, daß er Françoise gesehen hatte, war sie für ihn nicht mehr gewesen als ein »kleines Mädchen in einem Kleid, das ihr zu kurz war«. Überdies hätte sich ein Mann in seiner physischen Verfassung gehütet, einen echten epistolarischen Liebesakt mit einer Fünfzehnjährigen zu vollziehen, selbst wenn sie einen intelligenten Eindruck machte. Tatsächlich hatten zehn oder zwanzig reizende Briefe aus dem Verhältnis zwischen ihnen einen von Konventionen begrenzten Flirt gemacht, wie er für die damalige Zeit typisch war, mit Scarron in der Rolle des erklärten »Liebhabers« und einer gegenseitigen Bewunderung für elegante Wendungen auf beiden Seiten. Es war ein Spiel, und es ist ein Indiz für Françoises fortschreitende Raffinesse und für ihre Freude an dieser gleichzeitig provozierenden und gefahrlosen Galanterie aus der Ferne, daß sie gelernt hatte, es so rasch und so gut zu spielen. Scarrons eigene Briefe deu
ten es an: »Sie sagen«, schreibt er
151 , »auf jene neckische Weise, die mich wirklich zur Verzweiflung treibt: Sie lieben mich nur, weil ich hübsch bin. Bestimmt liebe ich Sie nicht, weil Sie häßlich sind.« Offensichtlich nicht: inzwischen erhielt Françoise mit scheinbarer Gelassenheit rhapsodische Verse über ihren »weißen, drallen, nackten Körper
152 , der mit gespreizten Beinen auf dem Bett liegt«.
Und als sie am Ende des Sommers wieder nach Paris zurückkehrte, begannen sich die Dinge ernsthaft zu ändern, nicht durch ein neues oder stärkeres Gefühl zwischen ihnen, sondern durch die Einsicht, daß jeder von praktischem Nutzen für den anderen sein konnte, nicht nur für das Vergnügen an einem harmlosen Flirt, sondern ganz handfest und langfristig. »Kommen Sie um Himmels willen wieder!«
153 hatte Scarron sie melodramatisch angefleht, und im Herbst 1651 tat sie es, im Schlepptau von Madame de Neuillant auf ihrer üblichen Rückkehr nach Paris zur Saison der Bankette und Ballette. Und von da an sahen sich Françoise und Scarron
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