Madame de Maintenon
sie aus, zurück in ihr altes Ursulinenkloster in der Rue Saint-Jacques.
Anfang Dezember hatte sie sich dort eingerichtet, und sie war so entspannt, daß sie sogar den üblichen Pariser Klatsch in ihre Briefe nach Mursay einfließen ließ. »Im Louvre haben sie eine Komödie
247 über die Hochzeit des Königs inszeniert. Alle waren begeistert. Es ist eine Pastorale. Sie zeigen den König auf der Bühne … Ich konnte natürlich nicht hin.« Françoise konnte wegen der Trauer nicht an der Aufführung teilnehmen; weder sie noch einer ihrer Freunde störte sich daran, daß die Pastorale das Werk des ehrgeizigen jungen Philippe Quinault war, der vor fünf Jahren für ein eigenes Stück einen ganzen Akt von Scarron gestohlen hatte. »Ich werde euch nie so zum Weinen bringen, wie ich euch zum Lachen gebracht habe«, hatte Scarron gesagt. Nur acht Wochen nach seinem Tod war die Erinnerung an ihn und die Treue zu ihm am Verblassen. »Aber gibt es etwas
248 , was die Zeit nicht auflöst? pflegte Scarron zu sagen«, seufzte Madame de Sévigné.
Dieses Phänomen sollte sich zumindest in einer Hinsicht sehr zum Vorteil von Françoise auswirken. Scarrons Pension als »Invalide der Königin«, die ihm nach seiner giftigen Ma
zarinade gestrichen worden war, sollte erneuert werden, dank der Bemühungen zweier Freundinnen, die Françoise vom gelben Salon her kannten und am Hof Positionen bekleideten, die ihnen Gelegenheit gab, regelmäßig mit der Königinmutter zu sprechen. Die Damen zeichneten ein leuchtendes Bild von der tugendhaften jungen Witwe, die durch die Armut und ihre Schönheit so leicht hätte abgleiten können in die »Galanterie«, in ein sündhaftes Leben mit dem einen oder anderen der reichen Männer der Stadt. Das arme kleine Ding, seufzten die Damen, war sogar Schülerin in dem Ursulinenkloster in der Rue Saint-Jacques gewesen, das Ihre Majestät im Jahr 1620, in ihrer eigenen schönen Jugendzeit, persönlich eröffnet hatte. Die Königinmutter, unsentimental, aber sehr fromm, mußte nicht lange überredet werden. »Aber ich habe vergessen, wie hoch die Pension war«, sagte sie. Die Pension hatte sich auf fünfhundert Livres pro Jahr belaufen. »Zweitausend Livres«, sagte ein geistesgegenwärtiger Höfling; die Damen nickten in weiser Zustimmung und reichten der Königinmutter einen Federkiel.
»Die Tugend bleibet stets, ihr Gut wird nie versenket.« Diesen Vers hatte Françoise einst skandiert, zusammen mit ihren dreizehnjährigen Gefährtinnen, als sie die Truthähne der Baronin de Neuillant in Niort hüten mußten. Wenigstens einmal hatte sich der Vierzeiler des alten Pibrac greifbar verwirklicht.
Die Pension der Königinmutter war für Françoise eine großartige Neuigkeit. Zum ersten Mal in ihrem Leben hatte sie ein eigenes gesichertes Einkommen, und die vier- bis fünftausend von ihrem »Witwengedinge« konnte sie für künftige Eventualitäten beiseite legen. Zweitausend Livres waren keineswegs ein Vermögen, jedenfalls nicht für den Adel, aber es war auf jeden Fall weit mehr, als sie jemals gehabt hatte. Während ihrer Ehe hatte sie für ihren persönlichen Bedarf nur 500 Francs, rund 130 Livres, pro Jahr zur Verfügung gehabt. Nun würde sie genug haben, um das Leben einer Dame
zu führen, in einem eigenen Haus, mit einem »schönen großen Feuer« und zwei oder drei Bediensteten, anständigen Kleidern und angenehmen Ausflügen. Es bedeutete nicht Luxus, aber doch Komfort, und was für sie wichtig war: Es würde ausreichen, um sie in der Sphäre der Reichen und sehr Reichen zu halten, mit denen sie in den Jahren ihrer Ehe hatte verkehren können.
Vor allem war es ihr eigenes Geld, garantiert von der königlichen Kasse, vielleicht doch eine Art Almosen, aber so wurde es damals nicht gesehen. Eine königliche Pension hatte eher den Charakter einer Belohnung, für Tugend oder Verdienst oder der Krone erwiesene Dienste. Eigentlich war sie auch eine Methode, die Gesellschaftsordnung zu stützen, denn wohlerzogene Leute wurden mit öffentlichem Geld ausgestattet, um weiterhin wie wohlerzogene Leute leben zu können: eine Methode, die den Interessen all derer diente, die dazugehörten, und die derer, die nicht dazugehörten, oft genug nur im Notfall gedachte oder möglicherweise im Gebet. Für Françoise war die Pension der Königinmutter sicherlich kein Almosen: Es war ihr eigenes Geld, auf das sie einen Anspruch hatte. Es verlieh ihr die Unabhängigkeit, nach der sie sich gesehnt hatte, sowie eine
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