Madame de Maintenon
sei sehr unterhaltsam, bemerkte er, und genieße offenbar die Aufmerksamkeit, die sie dadurch erfahre, meinte der Abbé, selbst ohne Zweifel ein Meister in dieser Kunst, um ihr sodann zu raten, sie solle lieber »versuchen, alle zu langweilen
303 «. Françoise ging schalkhaft darauf ein: In Gesellschaft wahrte sie ein vollkommenes Schweigen, und sie hielt sich so entschlossen zurück, »daß es ihr die Frömmigkeit ganz verleidete«. Père Gobelin hatte so wenig Erfolg, daß »ich sie sagen hörte, wenn man nicht damit rechnen müßte, daß die Leute sich das Maul darüber zerrissen, würde sie wohl nicht einmal mehr am Sonntag zur Messe gehen.«
Der andere Priester, der ihr im Marais begegnete, dürfte sie kaum stärker zur Frömmigkeit ermuntert haben. Abbé Jacques Testu war ein Exzentriker: hochaufgeschossen, redselig, pflegte er sich einen Krug Wasser über den Kopf zu schütten, um auf klare Gedanken zu kommen. Der vierzigjährige Abbé war ein notorischer Frauenheld – und ein Optimist, der seine Hoffnungen auf ein Bischofsamt darauf baute, aus der Kurtisane Ninon eine Karmelitin zu machen. »Die Diözese müßte
304 natürlich voller junger Frauen sein«, bemerkte Ninon lakonisch. Abbé Testu war entgeistert über die Einschränkungen, die der ernste Père Gobelin Françoise auferlegte, und er suchte sie auf, um dagegen zu protestieren. »Wirklich, Madame«, sagte er zu ihr
305 , »Sie haben es
mit einem Fanatiker zu tun.« Sie hielt jedoch an Père Gobelin fest; eigentlich war er ein guter Mann, und seine Beschränkungen erwiesen sich sogar als Vorteil: Sie konnte seinem Rat folgen oder ihn ignorieren, je nach Laune. Ihre Bemühungen um einen frommeren Lebenswandel waren daher halbherzig und kurzlebig, und sie verbrachte ihre Tage nicht in der Kirche oder im persönlichen Gebet, sondern mit Tafelfreuden in angenehmer Gesellschaft, mit Ausfahrten durch die eleganten Viertel oder mit dem Besuch von Theatern und Opern in »ausschweifenden« Kleidern aus Musselin.
* *
Für die meisten Menschen in Paris waren diese Jahre nach 1660 eine goldene Zeit, auch wenn sie beschwerlich begonnen hatten. Eine schlechte Ernte im Jahr 1661 war bald vergessen, denn es gab billiges Brot für die Armen in Hülle und Fülle, und für die Begüterten gab es neue Belustigungen. Die Stadt selbst veränderte sich, wurde durch Neubauten und neue Regelungen zu einer zuversichtlichen, modernen, lebenswerten Metropole.
In seiner Eigenschaft als königlicher Oberintendant der Bauten – noch einer von seinen zahlreichen lukrativen Posten – hatte Colbert ein umfangreiches Programm königlicher und öffentlicher Bauvorhaben in Gang gesetzt. Die gewaltigen mittelalterlichen Stadttore und Mauern von Paris, die schon vor fünfzehn Jahren, als Françoise in die Stadt kam, am Zerfallen waren, waren endlich niedergelegt worden, um Platz zu schaffen für breite neue Straßen und immer mehr Häuser. Neue Kirchen und – für die Reichen – große hôtels particuliers , städtische Versionen ihrer ländlichen Schlösser, traten an die Stelle der düsteren Behausungen aus einer anderen Zeit – die neuen, hohen Toreinfahrten, durch die man mit der Familienkutsche direkt von der Straße aus einfahren konnte, waren ein besonders geschätztes Kennzeichen der Moderne. Mit 22 Millionen Menschen konnte Frank
reich sich bereits rühmen, unter allen Ländern Europas die zahlreichste Bevölkerung zu besitzen, und jetzt war die Hauptstadt mit rund 600 000 Einwohnern zur größten Stadt Europas geworden.
Im Jahr 1666 begab sich der König persönlich auf einen Gang durch die Straßen von Paris, um die Stadt aus der Nähe zu betrachten. Anschließend befahl er, aus dem Ausland eine Schar Schwäne einzuführen, die die Seine verschönern sollten; wer ihre Eier zu stehlen versuchte, wurde mit einer Strafe von 300 Livres belegt. Colbert und sein Günstling Gabriel Nicolas de La Reynie, die hinter dem König herstapften, gelangten, was die Verschönerung betraf, zu einer anderen Entscheidung: Sie erließen strenge Vorschriften zum Aufräumen.
Bewohner und Geschäftseigentümer wurden mit einer neuen »Abfallsteuer« belastet, die halbjährlich an einem bestimmten Tag fällig war; wer nicht zahlte, dessen Möbel wurden am nächsten Tag vom Stadtbüttel gepfändet. Die Stadt schuf den neuen Posten des Müllsammlers, und die Pariser mußten eigenhändig zur öffentlichen Sauberkeit beitragen; zusätzlich zur Abfallsteuer und einer neu eingeführten
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