Madame de Maintenon
wird es gewiß auf den Bourgeois
356 in Paris und dann auf die Geschäftsleute und Handwerker übergreifen. Es wird mehr Unordnung schaffen als je zuvor.« Der Kommissar unternahm den rührenden Versuch, einen Pariser Mathematiker mit der Schaffung einer Reihe von Geometriespielen zu beauftragen, um die verhängnisvolle Glücksspielmode zu verdrängen. Wie es aussieht, haben sie nicht die gleiche Beliebtheit erreicht.
Françoise war keine Spielerin – die Einsätze wären ihr viel zu hoch gewesen, selbst wenn sie sich daran hätte beteiligen wollen –, aber sie nahm teil an den anderen Vergnügungen des Nebenhofes von Athénaïs. In der Regel verbrachten der König und seine Mätresse mitsamt einer ausgewählten Gruppe von Höflingen die frühen Abendstunden mit Brett- oder Kartenspielen (Françoise bevorzugte das für zwei Spieler erfundene Spiel Piquet), oder sie lauschten einem neuen Gedicht oder Stück. Maestro Molière war vor einigen Monaten dahingeschieden; ausgerechnet in einer Aufführung seines Stückes »Der eingebildete Kranke«, in dem er die Titel
rolle spielte, hatte er zusammen mit dem hellroten Blut der Schwindsüchtigen seine letzten Worte ausgestoßen. Aber es waren andere Autoren hervorgetreten, und Lully war noch immer da, erfand Tänze und komponierte Lieder, zeugte Kinder und verführte junge Männer, und zwar alles mit der gleichen Besessenheit und Energie, eine wunderbare Quelle von Klatsch und Unterhaltung für Opernliebhaber und alle anderen. Natürlich gab es viel zu besprechen, besonders beim Souper am späten Abend, und hier glänzte Françoise, wie sie es so viele Male in den Salons des Marais getan hatte. Der König beobachtete sie voller Bewunderung, aber auch mit einer leichten Besorgnis; Athénaïs genoß das Wortgeplänkel mit der Gouvernante so offensichtlich, daß er sich zeitweilig fast überflüssig vorkam. Nachdem sie gegangen waren, bat er sie, nicht mehr mit »deiner klugen Freundin
357 « zu sprechen, wohl aus der Befürchtung heraus, er könne dabei zum Gesprächsthema werden und in unvorteilhaftem Lichte erscheinen.
Oft genug schlug das Gespräch vom Unterhaltsamen ins schier Langweilige um, und daran fand Françoise sehr viel weniger Vergnügen, doch forderte das höfische Protokoll ein hohes Maß an Toleranz für offenkundige Dummheit. Ein bei den Herzoginnen und Prinzessinnen beliebtes Spiel war eine Abwandlung der Reise nach Jerusalem, bei der die Herren versuchten, die Damen von ihren Stühlen zu stoßen. Es war wohl offensichtlich, daß Françoise nicht davon begeistert war, oder ihr Ruf, praktisch und nüchtern zu denken, war allzu einschüchternd, denn der Höfling, der dazu ausersehen war, sie zu entthronen, rief mit übersteigerter Stimme aus: »Ach nein! Doch nicht Madame Scarron!
358 Eher kneife ich der Königin in den Hintern.«
Es war wenig wahrscheinlich, daß es dazu kommen würde. Wenn sie bei ihrem bevorzugten Kartenspiel Hombre wie üblich verloren hatte – »Der halbe Hof lebte von ihren Verlusten
359 « –, verbrachte Maria Theresia den Rest des Abends in
ihren eigenen Gemächern, betrübt in ein stilles Gebet versunken. In den Anfängen ihrer Ehe hatte Ludwig gewünscht, daß sie einen eigenen Hof der Damen hielte, wie es seine Mutter getan hatte, aber »ihre Dummheit und ihr eigenartiges Französisch
360 machten dieser Idee rasch ein Ende«. Der Hof war jetzt dort, wo der König war, und der König war stets in Begleitung seiner Mätresse, bis er zur Königin ging, um ihr gute Nacht zu sagen, und dann allein zu Bett ging. »Ich gehe nie zu Bett, ohne zuvor die Königin aufzusuchen«, aber das kann kein großer Trost für die einsame Maria Theresia gewesen sein, die nicht einmal ihre Kinder hatte, sie zu trösten – fünf von den sechs waren inzwischen gestorben. Schon als Mädchen überaus fromm, war sie in den 14 Jahren ihrer Ehe immer tiefer in einen extremen, sehr spanischen Katholizismus verfallen. Die vielen Seitensprünge des Königs hatten sie gekränkt und gedemütigt. Louise de la Vallière war wenigstens diskret gewesen, aber Athénaïs stellte ihren bevorzugten Status ungeniert zur Schau. »Diese Hure ist noch mein Tod
361 «, klagte Maria Theresia.
Der König wahrte die Formen, und die Formen genügten ihm: In der Öffentlichkeit stand die Königin an erster Stelle. Doch Maria Theresia, 36 Jahre alt, wünschte mehr als Förmlichkeit. Fern der Heimat, rang sie, von sämtlichen Höflingen verachtet oder ignoriert, noch immer mit
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