Madame de Maintenon
äußerlichen Dinge der Frömmigkeit … Wenn Sie Ihre Mängel korrigieren möchten, müssen Sie sich auf die inneren Dinge konzentrieren.
Kurz, Françoise schien trotz der vermeintlich einfachen Lehre von der »reinen Liebe« auf dem Weg zur Erlösung noch ein ganzes Stück vor sich zu haben. Fénélon hatte mit seinem scharfsichtigen Porträt ins Schwarze getroffen, und sie war gar nicht erfreut, es zu lesen. Madame Guyon schien dagegen in seinen Augen mehr oder weniger eine Heilige oder doch eine Person von außergewöhnlicher Spiritualität zu sein. Fénélon betrachtete sich sogar in einem gewissen Sinne als ihr Jünger. Sein Brief hatte das vollkommen klargemacht. Ganz offensichtlich schätzte er Madame Guyon mehr als Françoise.
Das war mehr, als sie zu ertragen bereit war. In Bestätigung von Fénélons Urteil – »Wenn Sie gekränkt sind, sind Sie tief gekränkt … und Ihre Schroffheit kann bis zum Äußersten gehen« – entschied Françoise, daß Madame Guyon zu gehen hatte, Fénélon aber irgendwie bleiben sollte. Die Idee der »reinen Liebe« war zu verwerfen, ihr verführerischster Exponent aber unbedingt zu halten. Die allzu heiligmäßige Madame Guyon sah man seitdem nie wieder in Saint-Cyr, während Fénélon, darum bemüht, seine Verbindung zu Françoise aufrechtzuerhalten, nach wie vor fast jeden Tag vorsprach. Das Kurze und sehr leichte Mittel zu beten und Die geistlichen Ströme wurden vom Grundstück verbannt, und Père Godet des Marais machte wirklich alle Exemplare ausfindig, darunter unerwarteterweise auch einige, welche
die kleinsten, »roten« Mädchen versteckt hatten, die alle unter zwölf waren. Es gab Widerstand, nicht nur von seiten der Mädchen, sondern ganz entschieden auch von den dames , und er hielt sich, mit halbherziger Unterstützung von Fénélon, über zwei Jahre lang, bis die letzte der Jüngerinnen von Madame Guyon das traditionelle Regime akzeptiert hatte und bereit war, den Schleier zu nehmen.
Und dabei hätte Françoise es belassen können. Madame Guyon war fort; Fénélon war noch da; die dames und demoiselles waren wieder unter Kontrolle; Père Godet des Marais hatte Françoise förmlich zur Oberin auf Lebenszeit von Saint-Cyr erklärt, und sie hatte ihn mit dem Bischofsamt von Chartres belohnt. Wichtig war vor allem, daß die ganze verworrene Episode vor dem König geheimgehalten worden war, der zwar an theologischen Fragen als solchen nicht gänzlich desinteressiert war, sich aber instinktiv gegen das Unorthodoxe wehrte, weil es Disziplinlosigkeit in der Kirche und eine gefährliche Unbotmäßigkeit im Staat nach sich zog.
Doch Françoise konnte es nicht dabei belassen. Fénélons offenkundige Bewunderung für Jeanne Guyon hatte ihre Selbsteinschätzung in Frage gestellt – sie empfand sich als eine spirituell überlegene Person, die zwar Schwierigkeiten mit den oberflächlichen Dingen der täglichen Andacht hatte, aber im Grunde doch zu den schöneren Seelen der Schöpfung gehörte. Nun aber hatte Fénélon sich darüber hinweggesetzt, daß Françoise Madame Guyon vollkommen ablehnte, daß sie die Dame persönlich aus Saint-Cyr entfernt und ihre Lehren über die »reine Liebe« verboten hatte, und sich geweigert, der »gesegneten Dame« den Rücken zu kehren. Das war, wenn man alle theologischen Fragen beiseite ließ, eine klare Entscheidung für Jeanne Guyon und gegen sie selbst. Der Verlust der Lehre von der »reinen Liebe« mit ihrem beruhigend einfachen Weg zur Erlösung mochte enttäuschend sein, doch schwerer wog die Aussicht, Fénélon selbst zu verlieren: Sein Respekt – und vielleicht mehr als
sein Respekt – war für sie absolut notwendig, und zusätzlich mußte er exklusiv sein. Hier ging es nicht um Einigkeit oder Uneinigkeit, hier ging es um Einigkeit oder Verrat. Fénélon mußte sich von Madame Guyon und all ihren Werken und all ihren Auftritten lossagen.
In dieser Absicht veranlaßte Françoise gegen Ende 1693, daß die Schriften von Madame Guyon Bossuet zur offiziellen Begutachtung vorgelegt wurden. Fénélon könnte sogar selbst hinter diesem Schritt gesteckt haben, weil er »die gesegnete Dame« als ein Licht der Kirche bestätigt zu sehen wünschte, während Françoise natürlich wollte, daß ihre Ideen verdammt würden und Fénélon folgerichtig genötigt sein würde, sich von ihr loszusagen; auch war, so Bossuets Sekretär, davon die Rede, daß »Madame de Maintenon Fénélons Namen
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