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Madame de Maintenon

Madame de Maintenon

Titel: Madame de Maintenon Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Veronica Buckley
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liebt Sie und möchte, daß Sie darauf hinwirken, daß Er geliebt wird. Dafür brauchen Sie den heiligen Rausch des hl. Franz, der die Weisheit all der Gelehrten übertrifft. Wann wird man die Liebe Gottes erkennen und verspüren, statt dieser sklavischen Furcht, welche die Religion verunstaltet?
    Der »hl. Franz« war der vor kurzem kanonisierte Bischof von Genf, Franz von Sales, dessen praktische Lehren einst Jeanne d'Aubigné durch die vielfältigen Schwierigkeiten ihres Lebens geleitet hatten. Franz von Sales hatte die Angst vor ewiger Verdammnis verworfen und sich statt dessen die Idee von »Gott als Liebe« zu eigen gemacht, und daraus
hatte er eine humanistische Lehre der Erlösung für normale Katholiken entwickelt, die eine besondere Frömmigkeit weder beanspruchten noch anstrebten. Der vom heiligen Franz beschriebene Zustand des »heiligen Rausches« – der eine spirituelle Ekstase sein mochte oder auch nur ein tiefes Gefühl des Friedens und der Bejahung – war für Françoise in ihrem aktuellen, paradoxerweise zugleich lauen und überreizten spirituellen Zustand etwas sehr Verlockendes. Nach dem Quälenden, Drohenden, mit dem Bossuet und seinesgleichen die Gläubigen geängstigt hatten, war es für sie geradezu befreiend, daß gewöhnliche Menschen ohne sonderliche Gelehrsamkeit oder Frömmigkeit diesen gesegneten Zustand so einfach erreichen konnten.
    Fénélon bildete mit seinem Verständnis der grundlegend neuen Botschaft und seinem Eifer, mit ihr darüber zu sprechen, einen scharfen Kontrast zu Ludwig, der die gängigen Lehren der Kirche nüchtern zur Kenntnis nahm: »Diese theologischen Dinge
827 braucht keiner zu kennen«, hatte er erklärt. »Die sind eher etwas für Rechthaber, die sich darin verbeißen … und immer sind dabei auch diesseitige Interessen im Spiel.« Mit seinem schlichten Gemüt hatte Ludwig kein Verständnis für die verborgenen Sehnsüchte, die solche leidenschaftlichen neuen »theologischen Dinge« hervorgebracht und sie in weiten Kreisen attraktiv gemacht hatten; selbstzufrieden, wie er war, konnte er sich nicht in Menschen wie Françoise einfühlen, die eine gewisse spirituelle Integrität brauchten, um mit sich im reinen zu sein. Ludwig glaubte an Gott und hatte Angst vor der Hölle, und er war zuversichtlich, rechtzeitig mit dem Sündigen aufgehört zu haben, um seine Seele reinzuwaschen, bevor er starb; dafür hatte seine Ehe – und seine Treue in dieser Ehe – gesorgt. Doch in spiritueller oder psychologischer Hinsicht kam er darüber nicht hinaus, und deshalb fehlte seiner Ehe mit Françoise, mochte sie auch stabil und für beide Seiten nützlich sein, etwas Entscheidendes. Diese Kluft füllte jetzt Fé
nélon aus, trotz des Altersunterschiedes von sechzehn Jahren eher ein Seelenverwandter für Françoise, als der eigene Ehemann es zu sein vermochte.
    Zwar hatte die Lehre des heiligen Franz von Sales das amtliche Imprimatur der Anerkennung in Rom erhalten, doch hatte es sich als allzu einfach erwiesen, sie zu verwässern und zu mißdeuten im Sinne geistiger Trägheit, der Vernachlässigung der herkömmlichen religiösen Praxis und sogar direkter Sünde. Der Anführer der aus ihr abgeleiteten quietistischen Bewegung, der spanische Priester Miguel de Molinos, schmachtete jetzt in einem römischen Gefängnis und wartete auf seinen Prozeß wegen angeblicher Sünden des Fleisches. In Frankreich wurde die Lehre jedoch aufs neue verbreitet von Jeanne-Marie Bouvier de la Motte Guyon, die als Mystikerin, Predigerin und Verfasserin theologisch unbotmäßiger Bücher von sich reden machte. Der Abbé de Choisy, selbst praktizierender Priester und trotz seiner Schwäche für weibliche Bekleidung ein solider orthodoxer Theologe, beschrieb die Grundlage der Lehre von Madame Guyon folgendermaßen:
    Man ergibt sich Gott
828 mit ganzem Herzen, ohne eine förmliche Zeremonie, überläßt sich gänzlich den Regungen des göttlichen Geistes, und dann ist man in einem Zustand heiliger Ruhe. In diesem Zustand achtet die Seele nicht darauf, was sich in der Phantasie abspielt oder was mit dem Körper geschieht … In den Herzen von Freigeistern kann eine Idee wie diese zu den unterschiedlichsten skandalösen Verirrungen Anlaß geben …
    Madame Guyon war soeben nach achtmonatigem Zwangsaufenthalt aus einem Pariser Kloster entlassen worden. Doch ungeachtet ihres zweifelhaften Rufes hatte ihre leidenschaftliche Spiritualität die Herzen eines Kreises frommer Freunde von Françoise erobert,

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