Madame Hemingway - Roman
geröteten Wangen neben Duff. »Siehst du das?« Er zeigte auf den Stier, der mit gesenktem Kopf auf den Jungen zukam. »Der Stier sieht nicht gut, aber er kann ihn riechen, und er lässt sich Zeit. Schau ihn dir an. Jetzt kommt er, bei Gott.«
»Ich verstehe nicht, wie du das hier als Sport bezeichnen kannst«, sagte Bill leise zu Ernest.
»Als was denn sonst? Es geht um Leben und Tod, mein Bruder, wie an jedem anderen Tag auch.«
Der Stier preschte mit dem rechten Horn zuerst nach vorn und sah mit seinem zur Seite geschwungenen Kopf wie der Teufel persönlich aus, als er auf den kletternden Caballero zuraste. Doch da wurde eine Hand über die Mauer gestreckt. Wir konnten nicht sehen, wer die Hilfe anbot, aber sie war ausreichend. Der Caballero bekam genug Halt, um die Wand hinaufzuklettern und sich auf die andere Seite zu retten. Die Menge jubelte leicht, als er in Sicherheit war.
»Ich schätze, jetzt bist du enttäuscht«, wandte Bill sich spitz an Ernest.
»Überhaupt nicht.«
»Hätte es ihn schlimm getroffen?«, wollte Duff wissen.
»Kann schon sein. Das passiert manchmal. Ich habe es schon mitangesehen.«
»Es ist wahnsinnig aufregend, oder?«, fragte sie.
»Die beste Show, die man sich vorstellen kann.«
Der letzte Stier rannte an uns vorbei, und dann kamen die
pastores
mit ihren Stöcken hinter den Stieren her. Schließlich wurde die Kanone abgefeuert, was bedeutete, dass alle Stiere sicher in der Arena waren.
»Wundervoll«, rief Duff.
Ich versuchte mich daran zu erinnern, ob ich es beim ersten Mal auch wundervoll gefunden hatte, als Ernest mich auf die gleiche Weise belehrte, wie er es nun mit Duff tat. Mein Leben hatte sich in den nur zwei Jahren seit jenem Tag so sehr verändert, aber ich wusste noch, dass ich damals aufgeregt und zugleich ganz ruhig gewesen war, weil meine Schwangerschaft mich von der Außenwelt abschirmte und ich mich völlig sicher fühlte. Mein Körper tat, wozu er geschaffen war, während diese Tiere ihrem eigenen Schicksal entgegentraten. Ich konnte dabei zusehen, ohne davon traumatisiert zu werden, und neben Ernest an den Kleidern und Decken für das Baby nähen, das in drei Monaten ganz sicher kommen würde, was auch immer an diesem Tag noch geschehen mochte. Und ich erinnerte mich auch daran, dass ich mich in der Nacht noch immer gut gefühlt hatte, als draußen
Riau Riau
getanzt wurde und Feuerwerke in die Luft gingen, obwohl es bei dem Lärm ganz unmöglich war, ein Auge zuzumachen.
In jenem ersten Jahr schienen wir die einzigen Amerikaner in Pamplona zu sein. Ernest nannte diesen Ort den Garten Eden – doch daran hatte sich mittlerweile einiges geändert.Limousinen brachten die feine Gesellschaft von Biarritz herauf. Uniformierte Chauffeure waren die ganze Nacht über damit beschäftigt, Türen zu öffnen und dann neben den Wagen darauf zu warten, dass die Feiernden müde wurden und nach Champagner stinkend zurück in ihren Lederkokon plumpsten. Normalerweise hätte uns die Ankunft der Reichen alles verdorben, wenn es das zu diesem Zeitpunkt nicht längst gewesen wäre.
Harold war immer noch verrückt nach Duff. Beim Lunch konnte man es gut beobachten, wenn er in einem Augenblick blass und sittenstreng dasaß und im nächsten mit großem Getue dafür sorgte, dass der Kellner ihr ihren Drink brachte.
»Ist schon in Ordnung, Darling«, rief sie. »Ich bin hier drüben noch nicht verdurstet.«
Wir hatten uns alle draußen um einen Tisch gedrängt. Duff, Ernest und Harold saßen auf der einen, Pat, Bill und ich auf der anderen Seite. Pat trug einen hübschen Sommeranzug mit einem marineblauen Leinenblazer. Er hatte sich die gleiche Baskenmütze besorgt, die Ernest besaß, und trug sie in einem optimistischen Winkel auf dem Hinterkopf. Doch wie zivilisiert er auch gekleidet sein mochte, ging er sogleich zum Angriff über, als Harold sich ein wenig zu auffällig um Duff bemühte.
»Mach mal eine Pause, Harold«, bellte er ihn an. »Geh am besten mal eine Runde um den Block.«
»Warum bist du nicht einfach still«, rief Harold zurück. »Oder weißt du was, trink doch noch einen.« Er wandte sich um und rief ins Leere hinein: »Bringt diesem Mann einen Drink!«
In diesem Augenblick trat ein frisch aussehender Don Stewart in grauen Flanellhosen und einem strahlend weißen Hemd zu uns. Er warf einen Blick über den Tisch und spürte sofort die Spannungen. »Wer ist gestorben, Leute?«
»Niemand Wichtiges«, erwiderte Ernest.
»Ich habe plötzlich ganz furchtbare
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