Madame Hemingway - Roman
gekränkt und wütend.
»Toronto ist tot. Wir können hier nicht bleiben.« Der Alkohol hatte ihn nicht gerade besänftigt, und ich befürchtete, die Stationsschwester würde kommen und ihn hinauswerfen, noch bevor er fertig erzählt hatte.
»Ist es denn wirklich nicht mehr gutzumachen?«, fragte ich ihn besorgt.
»Definitiv. Wir waren beide wütend. Dieser Rüpel hat nichts zurückgehalten, und ich habe womöglich auch ein paar Dinge gesagt, über die sie dort noch in Jahren reden werden.«
»Ach herrje, Tiny. Hat er dich gefeuert?«
»Er hat mich zur
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versetzt. Aber das mache ich nicht mit. Was denkst du, wann du wieder reisen kannst?«
»Ich wäre in ein paar Tagen bereit, aber das Baby kann erst in einigen Monaten auf einem Schiff mitfahren. Wir werden das hier durchstehen müssen.«
»Ich könnte den Mistkerl umbringen. Das würde unser Problem lösen.«
»Aber nicht für lange.«
Er schnitt eine Grimasse und ließ sich geräuschvoll auf den Sessel fallen. »Wo ist eigentlich der kleine Prachtkerl? Ich will ihn mir noch einmal ansehen.«
»Er schläft im Säuglingssaal. Du solltest auch schlafen gehen. Geh nach Hause, Tiny. Wir überlegen uns morgen früh eine Lösung.«
»Was gibt es da noch zu überlegen? Ich habe dir gesagt, es ist vorbei.«
»Denk nicht mehr daran. Geh einfach, und nimm eine Tablette Bikarbonat, sonst wirst du mit einem fürchterlichen Kater aufwachen.«
Wir flüchteten uns nicht sofort wieder nach Paris – doch nur, weil es nicht möglich war. Das Baby war wirklich noch zu klein für eine Schiffsreise, außerdem waren unsere Ersparnisse nach dem Umzug erschöpft. Wir waren nahezu pleite und hatten noch nicht einmal die Krankenhausrechnungen bezahlt. Uns blieb nichts anderes übrig, als uns irgendwie durchzukämpfen. Ernest hatte die Versetzung akzeptiert. Er arbeitete nun nicht mehr direkt für Hindmarsh, bekam aber immer noch dessen Einfluss zu spüren. Jedes Mal, wenn er einen miesen Auftrag erhielt, fragte er sich, ob Hindmarsh dahintersteckte, etwa als er in den Zoo von Toronto geschickt wurde, um von der Ankunft eines weißen Pfaus zu berichten.
»Ein Pfau, Tiny. Die wollen mich umbringen. Ich soll vor Demütigung sterben, etwas Schlimmeres kann man sich doch wohl nicht vorstellen.«
»Schon möglich«, erwiderte ich. »Aber es wird ihnen nicht gelingen. Dafür bist du zu stark.«
»Da bin ich mir nicht so sicher.«
Der Winter brachte Schnee nach Toronto, der von der Seite kam und jeden, der durch die Straßen lief, umzuwerfen drohte. Während der Pariser Winter feucht und grau war, erschien er hier unnachgiebig und blendend weiß. Der Wind fuhr mit Leichtigkeit durch unsere Mäntel und Decken und fand seinen Weg in jeden Winkel unserer Wohnung, in der das Baby und ich die meiste Zeit vor dem Heizkörper verbrachten. Ich kochte Wasser, um die Luft feucht zu halten, und zog beim Stillen Ernests dicken Mantel über. Ich nahm den Kleinen überhaupt nicht mit nach draußen und engagierte ein Dienstmädchen, das auf ihn aufpasste, wenn ich einkaufen musste. Ernest schleppte sich abends nach Hause, wenn es längst dunkel war, und sah jeden Tag erschöpfter aus. Er versäumte dennoch nicht, jeden Entwicklungsschritt unseres Sohnes gebührend zu bewundern, von dem ich ihm berichtete – etwa, dass er mich beim Baden angelächelt hatte oder sein Köpfchen schon hochhalten konnte –, doch es fiel Ernest in dieser Zeit nicht leicht, sich wirklich an etwas zu erfreuen.
»Ich weiß nicht, wie ich das ein Jahr lang aushalten soll«, sagte er.
»Ich weiß, es erscheint unmöglich. Aber wenn wir einmal alt und tatterig sind, wird uns ein Jahr wie ein kurzer Moment vorkommen.«
»Es ist noch nicht einmal die Demütigung, Geschichten schreiben zu müssen, die unter meiner Würde sind. Das ist mir egal. Aber nicht an meinen Sachen arbeiten zu können, obwohl es das Einzige ist, das ich je gewollt habe. Ich habedas Gefühl, dass das ganze Material in mir drin schlecht wird. Wenn ich es nicht bald niederschreiben kann, werde ich es für immer verlieren.«
»Bleib noch auf und schreib jetzt etwas. Ich mache dir einen starken Kaffee.«
»Ich kann nicht. Ich bin zu müde, um nachzudenken. Morgens überkommt es mich manchmal, aber bevor ich irgendetwas aufschreiben kann, schreit das Baby oder ich muss zur Arbeit aufbrechen. Und am Ende des Tages sind dann keine Worte mehr übrig. Außerdem sind wir hier so weit von allem entfernt. Ich habe keine Ahnung, wer gerade was schreibt
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