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Madame Lotti

Madame Lotti

Titel: Madame Lotti Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: G Arx
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aus, die mir das erste Mal fast an Trägheit zu grenzen schien. Heute kommt sie mir eher bärbeissig vor. Die Müdigkeit und die Blässe, die ich damals als Desillusion interpretierte – alles ist verschwunden. Es scheint, als habe er neuen Elan. Neue Hoffnung? Dr. Henri Chenal hat früher als Chirurg gearbeitet. Bei einer Operation, die er 1986 durchführte und bei der sich selbst verletzte, infizierte er sich mit dem HI-Virus. Er bittet Lotti, schnell in sein Sprechzimmer zu kommen, er wolle etwas mit ihr besprechen. Mit einem Kopfnicken zu mir hin fordert er mich auf, sie zu begleiten.
    Im Sprechzimmer sitzt schon eine Patientin, die ihm die Sprechstundenhilfe offenbar ohne sein Wissen reingesetzt hat. Er entschuldigt sich, sagt, wir sollen uns schon mal setzen, und kümmert sich dann um die Frau. Neben ihr steht ihr Mann, auch er offenbar aidskrank. Dr.Chenal stellt Fragen, kommt dann zum Schluss, dass der gebrochene Lebenswille der Frau, die das Glück hat, in eines seiner Therapieprogramme aufgenommen worden zu sein, sich darin zeigt, dass sie zu wenig isst.
    «Was hattest du zum Mittagessen?»
    «Nichts.»
    «Warum nicht?»
    «Ich habe keinen Hunger.»
    Nun schaltet sich der Mann ein, er habe, berichtet er, genau das getan, was er, Dr.Chenal, von ihm gewollt habe, nämlich Eier und Erbsen und Fisch gekauft.
    «Dann iss! Du musst essen!»
    «Ja.»
    «Was ja? Machst du einen Effort oder nicht?»
    Ich muss im Stillen lächeln. Dieses Wort Effort zeigt, wie ähnlich sich Henri Chenal und Lotti Latrous sind. Lottis Lieblingssatz in der Sprechstunde ist: «Il faut faire un effort!» Man muss halt mal eine Anstrengung machen!
    Die Frau sagt wieder: «Ja.»
    Der Arzt lässt nicht locker: «Ja? Ich will hören: Aber sicher, Monsieur le docteur, ich werde von ganzem Herzen einen Effort machen. Ich werde nicht nur die Eier und den Fisch und die Erbsen essen, die mein Mann für mich gekauft hat, ich werde auch noch ihn fressen! So will ich das, verstanden?»
    Die Frau wiederholt den Satz zwar nicht, aber wenigstens lächelt sie. Kraftlos, aber immerhin.
    Nachdem das Ehepaar draussen ist, setzt sich Lotti an Dr.Chenals Schreibtisch, sagt, sie sei ganz Ohr und ob er wolle, dass auch sie irgendjemanden auffresse.
    «Dass du zu wenig isst, weiss ich, aber du lässt dir ja nichts sagen. Hör zu, ich habe eine Idee.»
    Und dann stellt Dr.Chenal etwas in Aussicht, das Lottis Augen glänzen lässt: «Es kann doch nicht angehen, dass du mit den Frauen, die du ins Mütter-Patenschaft-Projekt aufnimmst, alle paar Tage hierher kommst, um ihre Blutwerte untersuchen zu lassen. Ich werde dir einen Hämatologen und das nötige Labormaterial zur Verfügung stellen. Ich weiss zwar, dass du dann gar nicht mehr aus deinem Slum kommst, aber bitte, das ist es ja wohl, was du willst. Nicht?»
    Lotti lächelt: «Ja.»
    «Ja?»
    «Ja, Monsieur le docteur, ich werde nicht nur den Fisch, ich werde auch meinen neuen Hämatologen verschlingen!»
    Die beiden lachen herzlich. Ich bitte Dr.Chenal, mir eine Frage zu beantworten.
    «Schiessen Sie los!»
    «Wird Schwarzafrika aussterben?»
    «Bis ins Jahr 2007 wird die Zahl der Erkrankungen massiv ansteigen, sie wird explodieren, danach, wer weiss?»
    «Woher nehmen Sie Ihre Kraft?»
    «Kraft? Sie sprechen von Kraft? Das ist keine Kraft, sondern Verrücktheit.»
    «Sie bezeichnen sich als verrückt?»
    «Ja, ich bin verrückt. Und diese Dame hier», bei diesen Worten nickt er in Lottis Richtung, «die ist nicht nur verrückt, die spinnt. Und zwar komplett!» Und schon ist er wieder draussen.
    Bevor wir das Zimmer verlassen, meint Lotti mehr zu sich selbst als zu mir: «Er macht also Ernst.»
    «Wie bitte?»
    «Er hat immer davon gesprochen, dass er dieses Zentrum in einen Pfeilbogen verwandeln wolle, mit welchem er Pfeile in kleinere Gebiete schiessen könne.»
    «Und mit dem dir nun offerierten Labor und dem Hämatologen schiesst er einen ersten Pfeil ab.»
    «Du ahnst gar nicht, wie viele Mütter davon profitieren werden.»
    «Von ihren Kindern ganz zu schweigen!»
    «Unsere» sieben Kinder sitzen, nach Altersgruppen aufgeteilt, schon bei ihren jeweiligen Betreuerinnen und sind dabei, farbiges Papier in Fetzen zu reissen. Da Lotti die nächsten zwei Stunden nutzen und unbedingt Mails beantworten und vor allem eines an Aziz schreiben will, fahren wir ins Internet-Café.
    Während sie oben am Computer sitzt, geniesse ich im Restaurant einen frischen Ananassaft – wohlweislich ohne Eis – und denke über

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