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Madame Zhou und der Fahrradfriseur

Madame Zhou und der Fahrradfriseur

Titel: Madame Zhou und der Fahrradfriseur Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Landolf Scherzer
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geschnittenen Nadelbäumen (ich vergaß, sie anzufassen und zu prüfen, ob es echte sind) führt geradewegs bis zum neuen Wahrzeichen von Peking, dem »Olympischen Vogelnest«. Die stählernen »Zweige« des Stadions sind auf den ersten Blick wirr miteinander verflochten. Doch wenn man genau hinschaut, sieht man, dass sie wie beim Eifelturm kunstvoll und statisch sicher angeordnet sind. Ich stehe, staune und muss, um das Stadion in seiner Gesamtheit fotografieren zu können, 100 Meter zurückgehen. Auf einer Tafel steht, dass der Eintritt in das »Vogelnest« 50 Yuan kostet, und an Stellwänden kann man Daten und Fakten derOlympischen Spiele 2008 lesen. Über 300 Milliarden Yuan (knapp 30 Milliarden Euro) wurden für den Bau der Sportanlagen des Olympischen Dorfes und des Olympischen Parks ausgegeben. Dazu noch einmal 32 Milliarden Euro für den Neubau von U-Bahn und Flughafenterminal. Die Übertragung der Eröffnungsfeier am 08. 08. 2008 sahen über 800 Millionen Chinesen im Fernsehen. Chinesische Sportler errangen 51 Goldmedaillen, 15 mehr als die in der Länderwertung nur den zweiten Platz belegenden US-Amerikaner. Mit 680 Hektar ist der im Norden an die Olympischen Sportstätten grenzende Park der größte Stadtpark der Welt. Die Schwimmhalle, der sogenannte »Wasserwürfel«, mit 6000 Sitzplätzen, wurde nach dem Umbau das größte Spaßbad Asiens …
    Der Platz des Himmlischen Friedens und die Verbotene Stadt sind, was die Dimensionen betrifft, von der Olympiade 2008 überboten worden. »Nebensächlichkeiten« – wie die Proteste von Politikern und Sportlern aus aller Welt gegen die Missachtung der Menschenrechte in China und die Unterdrückung der Opposition in Tibet – werden auf den Erinnerungstafeln nicht erwähnt.
    Zwischen »Vogelnest« und »Wasserwürfel« schweben 5 überlebensgroße, aus Draht geflochtene und in den olympischen Farben gekleidete Tänzerinnen leicht wie Vögel über den Boden. Und daneben werfen Arbeiter armdicke Girlanden aus künslichem Tannengrün von einem LKW herunter. Als sie die Haufen mühsam zu einer langen Schlange entwirren, suche ich, obwohl ich den Gedanken schon beiseitegelegt hatte, unter ihnen nach Du Qi. Ich entdecke ihn nirgendwo, frage aber die Arbeiter trotzdem nach ihm. Sie schütteln den Kopf und bitten, dass ich sie beim Girlandenabladen fotografiere.
    An einigen Bäumen und über den geschlossenen Verkaufsbuden hängen schon grüne Girlanden. Und dort klettern Handwerker auf Leitern und Gerüsten herum und befestigen, wie Du Qi gesagt hatte, elektrische Lichterketten!

    Vor dem »Olympischen Vogelnest«
    Er hat mich zuerst bemerkt, steigt von der Leiter und sagt: »Deutsche sind zuverlässig!«
    Die Männer schmücken das olympische Gelände für das Neujahrsfest.
    Du Qi vermutet, dass während der Festtage viele Familien und Touristen das Olympiagelände besuchen. »Wahrscheinlich werden die dann auch 50 Yuan bezahlen, um das Olympiastadion von innen zu sehen.«
    Der Unterhalt dieses Stadions kostet jährlich 20 Millionen Euro. Und selbst wenn täglich 5000 Billets verkauft würden, wasillusorischist, wären das im Jahr nur 10 Millionen Euro.
    »Und Sportveranstaltungen?«, frage ich.
    »Zu einem Fußballspiel kommen in Peking maximal 10 000 Zuschauer.«
    Es sei vielleicht alles zu groß gebaut worden, man könnte die neuen Stadien und Hallen nicht mit Automobilmessen und Popkonzerten erhalten.
    »Rund 30 Milliarden Euro hat der Bau des Olympiageländes gekostet!«
    Ich sage, dass ich diese Zahl schon auf den provisorischenPapptafeln gelesen habe. Und frage, ob er weiß, dass es außer diesem Gigantismus auch Proteste gegen die Olympischen Spiele von Peking gegeben hat. »Zum Beispiel gegen die Umsiedlung von Tausenden Menschen, deren Häuser für den Bau des olympischen Geländes abgerissen werden mussten.«
    Du Qi möchte das nicht kommentieren. Nach einer Weile bestätigt er, dass die Proteste der Hausbesitzer berechtigt gewesen sind. Doch während der Olympischen Spiele sei es auch zu anderen Aktionen gekommen. Ob ich wisse, dass der chinesische Künstler Ai Weiwei zusammen mit den Schweizer Architekten Herzog und de Meuron die wundervolle Struktur des »Vogelnests« entwickelt hat und auch beim Bau als Berater tätig gewesen ist. »Ein chinesischer Künstler als Mitgestalter unseres Olympia-Stadions, das war großartig«, sagt Du Qi stolz.
    Ich bestätige, dass ich von Ai Weiwei gehört habe, als er bei der »documenta« 2007 in Kassel für 3 Millionen

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