Madame Zhou und der Fahrradfriseur
Souvenir- und Tourenverkäufer. (An dieser Stelle verspreche ich, nur noch einmal – nämlich, wenn ich berichte, wie mich ein Rikscha-Fahrer außerhalb der Verbotenen Stadt durch die Hutongs kutschieren wollte – und danach nie wieder über Chinesen zu schreiben, die Ausländer mit ihren Angeboten belästigen.)
Pause an der Mauer der Verbotenen Stadt
Bis ich an der Kasse bin, bietet man mir für 600 bis 800 Yuan Fahrten zur Großen Mauer mit vorheriger Besichtigung typischer chinesischer Produkte an oder verspricht, mich in den Lama-Tempel oder den Konfuzius-Tempel zu begleiten. Ein Kunststudent will mich für 150 Yuan durch das Künstlerviertel »798« führen, zuvor allerdings könnte ich in einem Ausstellungsraum der Verbotenen Stadt seine Bilder erwerben. Als Letztes kommt eine Frau mit Pelzmützen, roten Sternen und Mao-Bildern. Ich flüchte zur Billett-Kasse. Im Winter kostet der Eintritt in die etwa 700 000 Quadratmeter große Kaiserstadt mit ihren 150 000 Quadratmetern bebauter Fläche und den über 800 Palästen, Pavillons und Toren nur 40 Yuan. Als ich die Karte gekauft habe, zeigt mir eine schon sehr alt aussehende – also nach Konfuzius und den chinesischen Lebensregeln zu achtende – Frau verschiedene Postkarten der Verbotenen Stadt. Ich versuche sie abzuwimmeln, indem ich ihr klarmachen will, dass ich mir erst die Wirklichkeit anschauen werde und dann zur Erinnerung vielleicht Postkarten kaufe. Ich drehe mich schnell um, will gehen, da schubst sie mich, lässt dabei all ihre Karten fallen und bückt sich schreiend. Ich knie mich neben sie und sammle die heruntergefallenen Karten auf. Wieder stehend, fasst sie sich laut jammernd an ihr Knie und den Kopf. Die umstehenden Chinesen schauen mich empört an. Ich nehme 20 Postkarten und gebe noch 5 Yuan Schmerzensgeld. Danach rennt sie sofort zu einem anderen laowai …
Im Garten der Verbotenen Stadt
Wütend und beschämt, wie ich bin, sollte ich mir die Tempel, Paläste und Tore der Verbotenen Stadt ersparen. Schließlich müsste ich nur die Postkarten betrachten und den Reiseführer lesen. Doch da erinnere ich mich, dass meine Mutter mir beigebracht hat: »Was bezahlt ist, muss auch aufgegessen werden!« Also gehe ich durch den für Ausländer reservierten rechten Gang (früher für Beamte und Generale vom dritten Rang aufwärts) in die Stadt des Kaisers.
»Hundert Mal gelesen ist nicht so viel wie einmal gesehen«, sagen die Chinesen. Womit sie recht haben. Schon nach wenigenMetern führen fünf märchenhaft schöne Marmorbrücken über den Goldwasserfluss. Die Augen können sich am Weiß des Marmors und dem Blau des Flusses erholen, bevor sie geblendet werden von der Buntheit der Halle der Höchsten Harmonie und den bronzeglänzenden Schildkröten und Kranichen, die dem Kaiser Langlebigkeit und Glück bringen sollten. Ich stehe staunend vor roten und goldenen Säulen und dem Purpur der lasierten Ziegel in den Hallen der Höchsten, der Mittleren und der Halle zur Erhaltung der Harmonie. Auch Purpur war ein Symbol für die Herrschaft des Himmelssohnes. Der Polarstern, umgeben vom Purpur des Himmels, war der Mittelpunkt des Universums und der Kaiser, umgeben vom Purpur der Tempelsteine, war der Mittelpunkt der irdischen Welt. Er verstand sich als die ewig währende Verbindung zwischen Kosmos und Erde. Überliefert sind 9999 und ein halber Raum in der Verbotenen Stadt. Auf ein halbes Zimmer musste der irdische »Sohn des Himmels« verzichten. 10 000 waren nur dem Herrscher im Himmel vorbehalten.
Außer Harmonie, Liebe und Frieden herrschten aber auch Chaos und Hass und Krieg in der Kaiserstadt. 1644 eroberte der Bauernführer Li Zicheng Peking, erklärte sich zum Kaiser, und der letzte Ming-Himmelssohn Chongzhen erhängte sich. Nur ein halbes Jahr residierte der »Bauernkaiser« in der Verbotenen Stadt. Danach eroberten die Krieger aus der Mandschurei das nördliche China, zerstörten große Teile der Kaiserstadt und krönten den erst 6-jährigen Mandschu Shunhzi zum ersten Kaiser der danach bis 1921 in China herrschenden Qing-Dynastie.
Rund 20 000 Beamte und Würdenträger verneigten sich, den Boden mit dem Kopf berührend, auf dem Platz vor der Halle der Höchsten Harmonie vor dem Kaiser. In der Halle der Mittleren Harmonie ruhte sich der Himmelssohn aus, bevor er zur Thronhalle getragen wurde oder Audienzen gewährte. In der Halle zur Erhaltung der Harmonie wurde er umgezogen und hielt kaiserliche Prüfungen ab.
Über das sonstige Leben in
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