Madame Zhou und der Fahrradfriseur
eingetragen: der Eigentümer des Betriebes, seine Geldmittel, die Gesellschafter, der Umsatz, die Steuern, das Stammkapital und die staatlich erteilte Produktionslizenz vom 12. 05. 1999 bis zum 12. 05. 2029. »Diese Business-Urkunde muss öffentlich sichtbar an der Wand hängen. Wenn sie in der Schublade liegt und die Finanzbeamten kommen, bezahlt man eine hohe Strafe.«
Ich frage Peter Rössner, ob er mit seinem Wurstmeister zufrieden ist.
»Er macht ordentliche Wurst und hat auch ordentliche Ansichten. Ich habe ihn einmal gefragt, weshalb er in unserem Betrieb keine Gewerkschaft gründet, damit die Kollegen eventuell für höhere Löhne streiken können. Da antwortete Herr Wang: ›Weshalb streiken? Es gibt so viele andere Chinesen. Die brauchen alle eine Arbeit.«
Außerdem ist er, der Deutsche Peter Rössner, zur selben Zeit wie der Chinese Wang Heyin im westdeutschen Fleischbetrieb »umgeschult« worden. »Und so etwas verbindet!«
Peter Rössner war von 1988 bis 1990 Mitarbeiter in der DDR-Botschaft in Peking. »Im Sommer 1990 kam das Telegramm vom neuen Außenminister Meckel: ›Sehr geehrter Herr Rössner, Ihre Dienste werden nicht mehr benötigt.‹ Ich bot meine Dienste zuerst der Berliner U-Bahn an. Dort ließen sie mich auf den Bahnhöfen Streife laufen. Danach lernte ich Schlachten und Wurstmachen, um zu Schindler nach Peking zu gehen. Doch daraus wurde zunächst nichts. Ich versuchte es als Investment-Berater und Bauunternehmer. Clevere Manager zogen mich dabei ein paar Mal über den Tisch. Und plötzlich hatte ich sehr hohe Schulden und wollte Privatinsolvenz anmelden. Aber das war nicht möglich, weil ich auch Forderungen, die durch Insolvenz nicht verjähren, begleichen musste. Ich hatte zum Beispiel als Bauunternehmer unwissentlich Bäume ohne Genehmigung fällen lassen. Pro Baum 30 000 DM Strafe. Es waren einigeBäume … Ich wusste, dass ich das nie in meinem Leben begleichen konnte. Und bin nach China.« Hier zahlt er in eine private Krankenversicherung und spart auf die Rente.
»Ich werde für immer in China bleiben.«
Nachdem die Arbeiterin Shi Jia sich schüchtern vorgestellt hat und ihre weiße Mütze abnimmt, hockt Peter Rössner sich wieder neben den Tisch. Als ich Shi Jia bitte, aus ihrem Leben zu erzählen, lacht sie. Als ich sie nach ihren Wünschen frage, lacht sie. Redet und lacht. Und redet weiter und lacht wieder. Schüttelt dabei ihre bis auf die Schultern reichenden schwarzen Haare zur Seite.
Ihr Dorf liegt 200 Kilometer von Peking entfernt. Als die Eltern 1999 als Wanderarbeiter nach Peking gingen, blieb die 11-Jährige noch 7 Jahre bei den Großeltern.
»Mein Vater arbeitet in Peking bei einer Wachfirma.«
Ob er dort salutieren muss, weiß sie nicht.
»Meine Mutter verkauft Kleidungsstücke. Ich bin erst 1997, mit 9 Jahren in die Schule gekommen.«
»Weshalb?«
»Weil ich auf dem Feld gebraucht wurde.«
In Peking arbeitete sie zuerst in der Kantine der meteorologischen Station. »Ich wusste zwar immer, was für Wetter kommen wird, hatte aber wenig Geld. Am 23. April 2007 durfte ich mich mit einer Freundin, die auch einen Job suchte, hier vorstellen. Herr Rössner sagte: ›Arbeitet einen Tag zur Probe!‹ Ich musste Würste einpacken. Und es roch sehr ungewohnt. Meine Freundin kam am nächsten Tag nicht mehr.«
Shi Jia wohnt bei den Eltern.
»In einem Hutong?«
»Ja, aber einem sehr schmutzigen.«
Ich frage nicht, ob sie es mir zeigt.
Für zwei winzige Zimmer im Hutong zahlen sie 300 Yuan Miete. »Bevor die Eltern abends von der Arbeit nach Hausekommen, koche ich für uns. Meistens Nudeln oder Teigtaschen.« Sie hat in ihrem Leben noch nie in einem Restaurant gegessen.
Der Freund von Shi Jia arbeitet als Elektriker bei der Eisenbahn.
»Wollen Sie heiraten?«
»Darüber habe ich noch nicht mit den Eltern gesprochen.«
»Was ist für Sie ein guter Tag?«
»Wenn ich glücklich bin.«
»Und wann sind Sie glücklich?«
»Wenn ich lache.«
»Und Kummer?«
»Kummer hätte ich nur, wenn mein Freund mich verlässt. Aber das wird er niemals tun. Er bekommt nichts Schöneres als mich.«
Was sie sich wünscht?
»Irgendwann mit ihm aus Peking weggehen zu können. Und dass die alten Hütten des Hutongs, in dem ich mit den Eltern wohne, abgerissen werden. Sie sehen aus, als ob man in unserem Dorf die Buchten für die Schweine neben- und übereinandergestellt hätte. Vielleicht würden wir dann sogar in Peking bleiben und in einem der neuen Hochhäuser eine Wohnung
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