Madame Zhou und der Fahrradfriseur
zufällig einen anderen Meininger, der Thüringer Bratwürste herstellt. Wie klein ist doch die Welt …«
Und nun erinnere ich mich auch, dass meine Freundin irgendwann von einem Klassenkameraden erzählt hat, der, wie sie meinte, schon in der 12. überheblich war, weil er Außenpolitik studieren wollte und später als Diplomat nach China gegangen ist.
»Ja, das war ich! Aber überheblich?«
Der Wurstmeister kommt. Er ist vielleicht 40 Jahre alt. Weil im Büro nur zwei Stühle an einem kleinen quadratischen Tisch stehen, hockt sich der Betriebsleiter daneben, stützt beide Arme auf die Tischplatte und sagt, dass der Wurstmeister und ich uns zum Gespräch hinsetzen sollten.
Dann rauchen die beiden.
Kastanienrösterei
Der Wurstmeister erzählt mir, was sein Chef schon weiß. Aber der übersetzt es mir trotzdem geduldig.
Auch der Wurstmeister Wang ist, wie könnte es anders sein, in einem Dorf, in Xi Guan, aufgewachsen. »Meine Eltern sind Bauern. Sie besitzen dort 8 Mu.«
»Kühe?«
»Nein, Land. 8 Mu sind ein halber Hektar«, sagt Peter Rössner.
»Die Eltern gaben mir, als ich die Schweine hütete und auf dem Feld arbeitete, schon als Kind den guten Rat: ›Wang Heyin, du musst viel lernen. Nur lernen wird dir später Glück und Reichtum bringen.‹ Doch ich war kein guter Schüler. Ich habe die Schule bis zur 9. Klasse besucht und mich dann mit verschiedenen Arbeiten durchgeschlagen.«
Als er erfuhr, dass eine deutsche Firma in China Fleischer sucht, ist er mit 8 Chinesen für ein halbes Jahr nach Deutschland gegangen.
»Dort lernte ich, wie die Deutschen Würste machen. Obwohl chinesische Würste völlig anders schmecken – sie sind ein wenig süß und ein wenig sauer –, habe ich die deutschenRezepturen schnell begriffen. Schwerer war es, die Kühe auf der Weide einzufangen und zu töten.«
Aus Deutschland zurück, arbeitete er als Schlachter.
»Und 1999 begann ich bei Schindlers deutsche Wurst für Chinesen und Deutsche herzustellen.«
Vor einigen Jahren ist er aus einem »Beton-Hutong« weggezogen. Er konnte sich eine 110 Quadratmeter große Wohnung und sogar ein kleines japanisches Auto kaufen.
»Meine Frau arbeitet bei Vissmann-Solarenergie. Auch eine deutsche Firma. Wir sind den Deutschen dankbar. Sie geben den Chinesen Arbeit, also Glück und Reichtum. Nicht die Kommunistische Partei Chinas schenkt uns Chinesen Glück und Reichtum, sondern deutsche Unternehmer bringen es.«
Peter Rössner will ihm widersprechen, lässt es aber. Er bietet eine weitere Zigarette an und sagt nur: »Wang, du und deine Frau, ihr seid zwei. In China leben 1,3 Milliarden Menschen.«
Ich frage den Wurstmeister, welchen Wunsch er hat.
»Eine eigene kleine Fleischerei zu gründen. Doch für einen niedrigen Menschen wie mich ist das in China unmöglich. Also wünsche ich, dass es dem deutschen Betrieb hier immer gutgeht, denn dann wird es auch mir gutgehen.«
Und was wünscht er dem Land China in der Zukunft?
»Es ist unnütz, dass ein einzelner unbedeutender Mensch China etwas wünscht und hofft, dass der Wunsch sich erfüllt. Nur die Partei entscheidet, was aus China und was aus uns wird.«
»Weshalb sind Sie kein Mitglied der Partei geworden?«, frage ich.
»Ich bin nur ein kleiner Bauer. Und ein kleiner Bauer hat inzwischen keinen Gewinn, wenn er in die Kommunistische Partei eintritt. Nur für chinesische Unternehmer bringt das einen Vorteil.«
Beim Fleischer im Hutong
Manchmal hat Wang Heyin daran gedacht, nach Deutschland zu gehen.
»Einer, der ein halbes Jahr mit mir in Deutschland lernte, wollte später in Deutschland arbeiten. Nach drei Monaten kam er wieder zurück. Auch in Deutschland kann man ohne Geld nicht gut leben … China ist meine Heimat. Meine Eltern wohnen hier. Und deshalb stellt sich für mich nicht die Frage, in ein anderes Land zu gehen. Ihr Deutschen könnt in China gut leben. Ich in Deutschland wahrscheinlich nicht.«
Er schlaucht noch eine Zigarette und verabschiedet sich, nachdem Peter Rössner gesagt hat, dass er die Arbeiterin Shi Jia in das Büro schicken soll.
An der Wand im Büro hängt eine nicht zu übersehende Fotografie. Darauf begrüßt Bundeskanzler Kohl bei einem Empfang in Peking Steffen Schindler. Oder besser: Herr Schindler begrüßt Herrn Kohl bei einem Empfang, »auf dem unsere Wurst serviert wurde«.
Wichtiger als dieses Foto, erklärt Peter Rössner, ist die daneben angebrachte Urkunde, eine sogenannte chinesische Business-Lizenz.Darauf sind behördlich
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