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Madame Zhou und der Fahrradfriseur

Madame Zhou und der Fahrradfriseur

Titel: Madame Zhou und der Fahrradfriseur Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Landolf Scherzer
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kommenden Mitbewohnern. Sie palavern wahrscheinlich über mich, der ich wie ein begossener Pudel, nichts begreifend, verschämt in ihrer Mitte stehe. Dann deutet mir der Mann mit einer Hand- und Mundbewegung Essen und Schmatzen an. Ich nicke erleichtert, hole aus meinem Rucksack Weißbrot und Apfelsinen, zeige auf eine der offenen Wohnungstüren und hoffe, dass wir zum Essen hineingehen. Aber eine der Frauen macht mirmit wenigen englischen Brocken verständlich, dass mich Herr Wong zum Essen in ein Restaurant einladen möchte.

    Hutong-Straße
    Mir bleiben nur noch 40 Minuten bis zum Treffen mit dem Betriebsleiter der Wurstfabrik, und ich lehne die Einladung so höflich, wie es mit der Zeichensprache möglich ist, mit der Hand auf dem Herzen und kleinen Verbeugungen ab. Da geht Herr Wong mit mir durch die Gasse zu einem Händler, der wie ein Schmied mit dem Blasebalg in einem von Ruß geschwärzten Kabuff Kohlen zum Glühen bringt und darin Kastanien röstet. Herr Wong kauft eine Tüte der nach Rauch riechenden braunen Kugeln, gibt sie mir und verabschiedet sich so schnell, dass ich mich kaum bedanken kann.
    In der »Anlegestelle« diskutiert ein Mann mit schon schütterem Haar, schmalen, sehr tiefliegenden Augen und einer hervorstehenden Pinocchio-Nase mit der Frau von Steffen Schindler. Er drückt ihr ein Bündel Essstäbchen in die Hand und sagt: »Wenn schon deine chinesischen Gäste nach deutscher Art im Restaurant Messer, Gabel und Löffel benutzen, dann kauf wenigstens deinen Leuten mal ein paar Stäbchen. Die essen ihren Reis sonst mit kleinen Löffeln.«
    Als er mich bemerkt, bricht er die Diskussion ab, stellt sich als Betriebsleiter Peter Rössner vor und sagt, dass wir sofort losfahren. Für die 25 Kilometer bis zur Wurstfabrik hat er manchmal schon über zwei Stunden gebraucht. Unterwegs informiert er mich über den Betrieb. 10 Chinesen verarbeiten dort im Monat 20 Tonnen Fleisch zu Wurst.
    »Und alles handwerklich nach guter deutscher Metzgerart.«
    Die Arbeiter verdienen mindestens 1300 Yuan. Sein erfahrener Wurstmeister, der 6 Monate in Deutschland gelernt hat, fünfmal so viel. Den monatlichen Mindestlohn dürfen die Behörden der großen chinesischen Städte eigenmächtig und unterschiedlich hoch festlegen. In Peking ist er in diesem Monat (auch für alle Wanderarbeiter) von 800 auf 940 Yuan angehoben worden. »Das muss im Arbeitsvertrag für die Berechnung der Sozialleistungen festgeschrieben werden. Und nach dem chinesischen Arbeitsgesetzbuch sollen alle Beschäftigten 5 Tage Urlaub und für Feiertagsarbeit 300 Prozent Lohn erhalten. Wir geben unseren Leuten 10 Tage Urlaub, und für jedes Jahr, dass sie in der Firma gearbeitet haben, erhalten sie bei einer Kündigung einen Monatslohn zusätzlich.«

    Im Hutong: seltener Blick in einen Hof
    Bereits nach einer reichlichen Stunde halten wir fast auf freiem Feld vor einem zweistöckigen Gebäude. Schon draußen riecht es nach Geräuchertem. Es ist 12.15 Uhr. Mittagspause! Die Männer liegen weißbekittelt in einem kleinen Raum auf Sofas oder in Sesseln und sehen fern. Die Frauen sitzen in der Küche und waschen die Teller ab.
    »Alle bekommen täglich ein kostenloses Mittagessen«, sagt Peter Rössner. »Das hat Steffen Schindler angeordnet. Soziale Fürsorge für die Arbeiter, auch so ein DDR-Überbleibsel.«
    Allerdings würden das inzwischen nicht alle Chinesen dankbar anerkennen.
    »Die Kellnerinnen in der ›Anlegestelle‹ beschwerten sich neulich bei Frau Schindler, weil es manchmal kostenloses Essen ohne Fleisch gab. Deshalb wollen sie künftig auf das Essen verzichten und stattdessen 100 Yuan in bar erhalten. Für dieses Geld würden sie dann täglich in einer Garküche zu Mittag essen. Sagten die Kellnerinnen!«
    In seinem Büro schlägt Peter Rössner vor, eine Arbeiterin und den Wurstmeister für ein Gespräch mit mir rufen zu lassen.
    Ich bedanke mich, sage aber, dass wir zuvor über unser Woher und Wohin sprechen sollten.
    Da grinst er unverschämt und sagt: »Wir kennen uns doch schon sehr lange und sogar sehr gut.«
    In mein Staunen hinein fragt er: »Du hast lange Zeit in Meiningen gewohnt?«
    »Ja«, sage ich. »Woher wissen Sie das?«
    »Weil ich in Meiningen aufgewachsen bin und mit deiner ehemaligen Freundin dort 1978 das Abi gemacht habe.«
    Während ich ihn ungläubig anschaue, kommentiert er lachend: »17 Millionen Menschen wohnen in Peking. Davon bestimmt über 10 000 Deutsche. Und dann trifft ein ehemaliger Meininger hier

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