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Madame Zhou und der Fahrradfriseur

Madame Zhou und der Fahrradfriseur

Titel: Madame Zhou und der Fahrradfriseur Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Landolf Scherzer
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Rubel.

SPICKZETTEL (16)
    Christian B., Berufswunsch: Technik/Wirtschaft oder Management
    Ich möchte weit in der Welt herumkommen und in einer großen Stadt mit vielen Möglichkeiten arbeiten, wie z. B.
Hongkong, New York etc. Und in späteren Jahren wahrscheinlich wieder zurück nach Deutschland gehen, um die Natur zu genießen.
    Für China wünsche ich, dass die Regierung endlich einsieht, dass ihre Politik und Meinung nicht die einzige ist.
    Das deutsche Essen, die gute Luft und die Natur sind Dinge, die ich hier vermisse. In Deutschland dagegen die Freiheit für uns Jugendliche (Freiheit in dem Sinne, dass wir hier in China viele Möglichkeiten haben, unsere Tage zu verbringen, die wir in Deutschland nicht haben). Auch würde ich die Freundlichkeit der Chinesen allgemein und ihre natürliche Umgangsform mit den Dingen vermissen.
    Wahrscheinlich würde ich keine Chinesin heiraten, denn ich bin selber ein Halb-Chinese und möchte die Bräuche und die Kultur, die ich »in mir« trage, an eine andere Nationalität weitergeben.

Die Skulptur
    ODER:
    »Wei shen me yao ba gong? hai you hen duo qi ta zhong guo ren« – »Weshalb streiken? Es gibt so viele andere Chinesen«
    Heute will ich probieren wie Thüringer Bratwürste aus Peking schmecken. Bevor ich mich mit dem Betriebsleiter der Wurstfabrik in Schindlers »Anlegestelle« treffe, stromere ich zwischen dem Lama-Tempel und dem Konfuzius-Tempel hin und her und überlege, ob ich das Heiligtum des großen Philosophen im Schnelldurchlauf erkunden soll. Doch als davor deutsche Touristen aus drei Reisebussen klettern, verzichte ich auf die Visite und gehe stattdessen in eine der engen Hutong-Gassen. Sie verläuft parallel zur Mauer des Lama-Tempels. An einigen Ecken stehen die prachtvollen Tore so nah an den Hutong-Hütten, dass ich den historischen Prunk unddie verfallenen Häuschen, die Schutthaufen und Gemüsekisten auf einem Foto vereinen kann. Doch diese Gegensätzlichkeiten erscheinen mir nicht unnatürlich wie die der 20stöckigen Glaspaläste mit den Bettlern davor. Tempel und Hutong gehören zusammen. Goldene Drachenmasken stehen auf den Mauern der alten Wohnviertel. Rote Lampions hängen an Drähten über den Gassen. Die Haustüren sind bemalt und mit chinesischen Glückssymbolen geschmückt. Weder in dem Xilou-Hutong noch in dem Beixin-Hutong starrt mich, obwohl ich keinem weiteren Ausländer begegnet bin, ein Chinese neugierig an. Und nirgends sehe ich Bettler.
    Zuerst gehe ich unsicher an den niedrigen, wegen ihrer Mauern und verschlossenen Türen nicht einsehbaren Häusern vorbei. Zwischen halb eingefallenen, aber noch bewohnten Häuschen steht ein neues, frisch verputztes Gebäude. Darin befinden sich 6 blitzsaubere öffentliche Toiletten. Auf nicht einmal 500 Metern begegne ich in den Gassen mindestens acht Frauen und Männern, die auch vor eingefallenen Häusern den Weg kehren. Es gibt ein Kosmetikgeschäft, in dem sich eine schöne junge Friseuse von mir fotografieren lässt. Daneben steht das Haus der Hutong-Verwaltung mit vielen Anschlägen. Gegenüber präsentiert ein alter Mann auf einem langen Tisch mindestens ein Dutzend chinesischer Zeitungen. An einer Fleischerbude versucht der Händler, die Fliegen von den an der Decke hängenden Fleischhälften zu vertreiben. Vor dem Gemüseladen hält ein dreirädriges Gefährt, in dem maximal 4 Leute Platz haben, aber aus dem 8 herausklettern. Zwischen Schneiderwerkstatt und einem Nudelladen präsentiert sich sogar ein kleines zweistöckiges, mit Fahnen geschmücktes Hotel.
    Auf einer roten Ziegelsteinmauer prangen anstelle der 9 Dachreiterfiguren 9 Stromzähler. Dahinter befindet sich der Eingang zum Hutong-Hof Nr. 43. Die Tür ist offen. Ich stecke den Fotoapparat in den Rucksack und gehe vorsichtig in den quadratischen Hof. 5 Kochherde stehen nebeneinander vor der hinteren Wand. Aus einigen Fenstern ragen dicke Blechrohre, von denen ich nicht weiß, ob sie als Rauchabzug oder zur Lüftung dienen. In der Mitte des Hofes sind Schränke und Regale gestapelt. Drumherum ist im Viereck eine Leine gespannt. Auf ihr baumeln Decken, Betten, Hosen und Schuhe. Hinter einem Plastevorhang befindet sich wahrscheinlich eine gemeinsame Pinkelrinne, ein Mann ist zwar nur als undeutlicher Umriss, doch in der typischen Männerhaltung zu erkennen. Als er den Vorhang zur Seite schiebt, will ich schnell verschwinden, aber er winkt mich heran und redet sehr laut und so schrill wie ein Marktweib mit den sofort aus ihren Türen

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