Madame Zhou und der Fahrradfriseur
mit Wasser und Heizung und einer Toilette erhalten.«
Sie lacht wie über einen guten Witz.
»Und für China, was wünschen Sie China?«
»Ein besseres Leben für die Menschen in den Dörfern.«
Der Meininger Peter Rössner bittet sie, mir 5 frische Thüringer Bratwürste einzuschweißen.
Ich frage, ob er sich in Peking am Sonntag Meininger »Hütes« (Klöße) kocht.
»Nein! Aber vielleicht ist das eine Idee, um in Peking ein Thüringer Restaurant zu eröffnen. Du könntest in Meiningen oder Suhl ein paar Arbeitslose fragen, ob sie hierherkommen.«
Das Rezept für »Hütes« stände schon auf Chinesisch im Internet. »Und Rouladen liefern wir.«
Wobei das Liefern oft schwieriger als das Wurstmachen ist, erklärt er. »Unser Betrieb befindet sich auf dem 5. Pekinger Außenring. Vom 5. Ring dürfen am Tag keine LKW in die Stadt fahren. Nur nachts zwischen 23 und 5 Uhr können wir die Wurst in die Stadt bringen. Doch in dieser Zeit nehmen die Hotels keine Lieferungen an. Erst ab 8 Uhr! Aber nach 5 Uhr dürfen wir, wie schon gesagt, nicht in die Stadt fahren. Nur für Unternehmen mit Personentransport gibt es Sonderregelungen. Also laden wir zur Tarnung zwei, drei Leute in unseren VW-Kleinbus, und den restlichen Platz füllen wir mit unseren Wurstkisten. Wenn man uns erwischt, zahlen wir 20 Yuan Strafe. Der Wursttransport nach Shanghai ist einfacher. Da bringen wir die Wurst zum Flugplatz.«
Mit den eingeschweißten Thüringer Würsten im Rucksack mache ich mich auf den Weg zur Chefsekretärin Julia und zu ihrem Mann, dem Künstler Wang Shugang. Das von Maschendrahtzaun und Steinmauer umgebene Viertel, in dem sie wohnen, ist strenger bewacht als das von Klaus. Am Eingang wird nicht salutiert, sondern kontrolliert. Julia muss mich abholen. Die schlanke, groß gewachsene Frau, die ihre Haare so kurz trägt, dass die kleinen Ohren nicht verdeckt werden, geht durch das Wohngebiet, in dem auch schon in die Jahre gekommene Hochhäuser stehen, voraus. Im Treppenaufgang riecht es wie in einem Gemüselager. Neben vielen Wohnungstüren liegen Haufen von Kohl, Möhren und Rote Bete.
»In ihren inzwischen abgerissenen Hutongs besaßen die Bewohner kleine Verschläge und Schuppen, in denen sie ihr Gemüse während des Winters aufbewahren konnten«, erklärt Julia.
Schon als sie die Wohnung aufschließt, höre ich Musik von Bach.
Wang Shugang liebt klassische Musik. Er besitzt rund 2000 CDs und fast 1000 Schallplatten.
Er dreht die Musik leise und begrüßt mich auf die Art, wie ich sie inzwischen von Chinesen kenne: höflich, doch ohne überschwängliche Gefühle. Wang Shugang spricht sehr gut Deutsch.
»Ich habe von 1989 bis zum Jahr 2000 im Deutschland gelebt und dort auch Julia kennengelernt.«
Offenbar habe ich zu auffällig und fasziniert auf seinen großen kahlen Kopf geschaut, denn er erklärt mir zuerst, dass ihm bei der Rückkehr nach Peking die Haare »im Kreisrund« ausgefallen sind. »Da ließ ich die Reste abschneiden und rasiere nun aller zwei Tage meinen Schädel blitzblank.«
Und Julia ergänzt, dass Freunde, die seine künstlerischen Arbeiten bewundern, behaupten, dass er die Köpfe vieler Skulpturen seinem Ebenbild gleich modelliert hat.
Zumindest für die 18 Bronzefiguren seiner Ausstellung »Das Ich im Wir«, die mir Julia auf dem Computer zeigt, stimmt es. Alle sind glatzköpfig. Aber in den fast lebensgroßen, barfüßigen Skulpturen erkenne ich auch die alten, freundlichen Männer aus dem Park, die mit Vögeln sprechen oder mit Qigong-Kugeln spielen.
Mir gefallen die Figuren. Ich empfinde sie als eine realistische, fast folkloristische Abbildung der Realität.
Julia widerspricht. »Das stimmt nur auf den ersten Blick. Für den Betrachter, der China kennt, verkörpern diese Skulpturen auch die Historie und die Konflikte der chinesischen Gegenwart.«
Noch um die Jahrhundertwende war es den vermögenden Söhnen der kaiserlichen Mandarine und Beamten, den Snobs und Nichtstuern vorbehalten, sich im Freien zu vergnügen. Sie trafen sich, um die Zeit totzuschlagen, auf Plätzen und in Parks zum Spielen. Heute kommen die alten Menschen, Arme und Alleinlebende, die viele Jahre lang gearbeitet ha ben, in den Park. An ihrem Lebensabend erholen sie sich bei Spielen mit Vögeln, Kugeln, Bällen und traditionellen gymnastischen Übungen. Und leisten sich damit das für sie einzig mögliche kostenlose Freizeitvergnügen.
Eckladen im Hutong
»Aber die Skulpturen-Gruppe verkörpert auch die Kritik, dass
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