Madame Zhou und der Fahrradfriseur
tibetanischeMönche, mit Vögeln sprechende Alte, auf dem Boden hockende Chinesen … Und er begann nicht nur im Ausland, sondern auch in China seine Kunst auszustellen und zu verkaufen.
»Der Kunstmarkt in China entwickelt sich erst. Die Westler kaufen bei uns mit den Augen. Sie sind Kunstkenner, sie kaufen, was wirklich gut ist. Die Chinesen dagegen kaufen mit den Ohren. Sie hören, das und das ist jetzt sehr teuer und eine gute Investition für später. Also kaufen sie, legen es in den Safe, um es später bei Auktionen anzubieten. Sie wollen einfach mit der Kunst Geld verdienen. Jetzt wird auch in China alles für Geld gemacht. Das haben wir vom Westen übernommen. Es gibt bei uns keine guten neuen Werte, und selbst die alten sind inzwischen keine guten Werte mehr. Sollten wir zum Konfuzianismus zurückgehen? Diese Philosophie ist nur eine Hülle. In ihr steckt keine neue Moral. Wir sind 1,3 Milliarden Menschen, aber wir haben keinen gemeinsamen Glauben. Ich meine nicht den Glauben an Jesus, Buddha oder so. Ich meine eine gemeinsame Moral und Tugend: eine Wahrheit für das Leben. Im Moment geht hier alles gegen den einzelnen Menschen. Er ist umkreist und eingeengt. Früher von der Macht der kommunistischen Ideologen. Heute von Ideologie und vom Geld.«
Ich frage, was eine seiner lebensgroßen Bronzefiguren, »Mann spielt mit Vögeln«, kostet.
»Einige tausend Euro.«
Als müsste er sich entschuldigen, fügt er hinzu: »Julia und ich genießen in China ein sehr großes Privileg: Wir müssen nicht in China leben. Wir wollen hier leben!«
Als ich die beiden auf ihrem roten Sofa fotografiere und sich Wang Shugang wie schutzsuchend an Julia lehnt, frage ich, ob sie – ein chinesischer Künstler und eine deutsche Chefsekretärin – gut miteinander auskommen.
Wang Shugang lacht. »Julia und ich hatten und haben immer eine sehr gute Arbeitsteilung. Sie lief zum Beispiel in derNacht, als das Unglück geschah, umher, um Geld für die Operation des Mannes unserer Ayi aufzutreiben. Und als die Ayi eine Woche in der Klinik bei ihrem Mann bleiben musste, kochte ich das Essen für unsere Tochter.«
Julia begleitet mich bis zum Wachhäuschen des Compounds und hält auf der wenig befahrenen Straße ein Taxi für mich an. Sie erklärt dem Chauffeur, dass er nicht den einige Kilometer längeren, sondern den kürzeren Weg durch das Abrissviertel nehmen soll. Er lehnt ab. Auch der zweite, der dritte und der vierte weigern sich, durch das Abrissgelände zu fahren.
Ein Chinese, der die Szene aus der Entfernung beobachtet hat, sagt, dass er mich für 40 Yuan mit seinem Privatauto auch durch das »alte Dorf« kutschieren wird.
Julia schreibt ihm die Adresse von Klaus auf. Schon nach 5 Minuten Fahrt brennen keine Straßenlaternen mehr. Im Scheinwerferlicht erkenne ich die gespenstischen Reste von Häuserwänden und Dachfirsten. Dazwischen liegen entwurzelte Bäume und Schutthaufen. Die Löcher der Straße sind notdürftig mit Müll geflickt. Der Fahrer kurvt langsam um Gräben, und als er einem verrotteten Holzhaufen ausweicht, bilde ich mir ein, dass am Straßenrand der Kadaver einer Kuh liegt.
Ich bekomme schweißnasse Hände. Und kann nichts auf Chinesisch fragen. Und der Fahrer nichts sagen. Die Scheinwerfer suchen uns einen Weg durch das Viertel, das einem zerstörten Kriegsgebiet ähnelt. Als die Abkürzung durch das Abrissgelände kein Ende nimmt, verdränge ich den Gedanken: »Wenn der Fahrer jetzt …«
Nach einer scheinbaren Ewigkeit sehe ich Lichter. Als wir dann auf eine breite geteerte Straße fahren, greife ich instinktiv nach der Hand des Mannes.
Er schaut mich verständnislos an.
Bei Klaus trinke ich einen großen Whisky. Vor dem Fenster, in dem die Räuchermannle stehen, leuchten draußen ander Weihnachtstanne die elektrischen Kerzen. Man kann sie, im Zimmer sitzend, ein- und ausschalten.
SPICKZETTEL (17)
M. M., Berufswunsch: Eventmanagerin
Ich wünsche China mehr Freiheit, ohne dass das Land zugrunde geht oder auseinanderbricht. In Deutschland würde ich meine Familie hier vermissen, die chinesische Kultur, das chinesische Essen, Einkaufen, die Lebensweise, die Sprache und einfach die chinesische Art. China ist schließlich meine Heimat geworden, und man wird Heimat wohl immer vermissen, wenn man da weggeht.
Einen Chinesen würde ich nicht heiraten wollen. Viele sind noch sehr konservativ und respektieren auch die Frauen nicht sonderlich. Sie können es auch nicht akzeptieren, wenn die Frau mehr Geld
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