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Madame Zhou und der Fahrradfriseur

Madame Zhou und der Fahrradfriseur

Titel: Madame Zhou und der Fahrradfriseur Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Landolf Scherzer
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Medien.
    »Obwohl der Staat immer noch kein Geld für die Heime der Kinder der Inhaftierten bereitstellt, hat Frau Zhang das olympische Feuer tragen dürfen!«
    Dann erzählt er uns ihre Geschichte: Frau Zhang wurde 1948 in einem kleinen Bergdorf in der Provinz Shaanxi geboren. Die Familie lebte in dem Bergdorf Jianhe, in dem es nicht mal Elektrizität gab. Der Vater arbeitete als Verkäuferim armseligen Dorfkonsum, und die kleine Shuqin musste im Winter mit den 5 Brüdern im Bett der Mutter schlafen. Als sie 14 Jahre alt geworden war, erhielt sie eine Ausbildung in Traditioneller Chinesischer Medizin. Während der Kulturrevolution gehörte die 18-Jährige zu den roten Arbeiter- und Studentengarden, die auf Maos Befehl alle »noch übriggebliebenen Feinde des Sozialismus«, also Professoren, Handwerker, Buddhisten, Ladenbesitzer, vernichten oder umerziehen wollten. Und Zhang Shuqin sagte sich von ihrem Vater – »einem im Handel beschäftigten kapitalistischen Feind« – los, verleugnete ihren alten Namen und nannte sich Zhang Weihua – die China Beschützende. 1976, nach Maos Tod, ging sie als sogenannte Barfußärztin in die Berge und behandelte die Menschen dort mit Kräutern und Akkupunktur.
    1979 widerrief die Partei Maos Losung, »mehr Menschen sind mehr Hände« (dass China immer stärker würde je mehr Chinesen es gäbe), weshalb jede Familie mindestens drei Kinder haben musste. Stattdessen verordnet sie per Gesetz die Ein-Kind-Ehe. Frau Zhang musste in dieser Zeit bei vielen Frauen zwangsweise das Ungeborene abtreiben. Später arbeitete sie als Journalistin, schrieb auch über die Gefängnisse der Provinz Shaanxi und wurde danach als Polizistin in der Gefängnisverwaltung angestellt. Dort sah sie Kinder, die wochenlang vor den Gefängnistoren lagen und vergeblich auf ihre inhaftierten Eltern warteten. Und sie erlebte, dass Mütter sich im Gefängnis die Pulsadern aufschnitten, weil sie nicht wussten, was aus ihren Kindern geworden war, dass Väter den Verstand verloren, ausbrachen, um ihre Kinder zu sehen, und bei der Flucht erschossen wurden. Auf Bitten der Gefangenen suchte sie deren Kinder auf und fand viele in völliger Verwahrlosung. 1996 kündigte Frau Zhang Shuqin bei der Gefängnisverwaltung, gab ihre Polizeiuniform zurück, verkaufte ihren Hausrat und gründete von dem Erlös das erste Heim für die Kinder von inhaftierten chinesischen Verbrechern.
    Herr Gao Feng fasst sich sehr kurz. Schon viele Reporter hätten über die »Mutter der Mörderkinder« geschrieben. Ich bemerke auch keine Gefühlsregungen, als Gao Feng von den Zwangsabtreibungen, die sie vornehmen musste, berichtet. Die militärische Knappheit seiner Rede ist wahrscheinlich nicht nur in seiner Vergangenheit begründet. Auch hier im Dorf läuft alles nach genauen »militärischen« Regeln. 5.30 Uhr wecken. Frühstücken. Gemeinsamer Abmarsch in die Schule. Um den Wert des Essens nicht zu vergessen und damit sie keine Nahrungsmittel vergeuden, müssen die Kinder vor den Mahlzeiten das alte chinesische Gedicht vom hart arbeitenden Bauern rezitieren, der im Schweiße des Angesichts das Feld bestellt und der ihnen mit seiner mühsamen Arbeit den Teller füllt. Jeden Tag rezitieren sie das zwei Mal im Chor. Sie müssen selbst auf den Feldern arbeiten. Auf knapp 20 ha bauen sie Mais, Melonen, Kraut und Sojabohnen an.
    Im Empfangsraum vor dem Büro zeigt uns Herr Gao Feng Fotos von den Kindern, die ihre Eltern im Gefängnis besuchen oder mit ihnen vom Heim aus telefonieren dürfen. »Einer von ihnen telefonierte noch am Abend, bevor der Vater hingerichtet wurde, mit seinem Baba. Er wusste nicht, dass es das letzte Mal sein würde. Er fragte immer nur: ›Baba, wann kommst du nach Hause?‹ Und der Baba sagte: ›Lerne gut, mein Sohn, dann bin ich stolz auf dich.‹«
    Ein Mädchen, das miterlebte, wie die Mutter den Vater, der sie Tag für Tag geschlagen hatte, mit dem Messer erstach, schreibt der inzwischen hingerichteten Mutter immer noch Briefe. Eine Pflegerin hat die Briefe unter der Matratze gefunden. »Mama, er hat dich geschlagen, er war böse. Du bist gut. Und wenn ich heirate, wirst du auf meiner Hochzeit tanzen …«
    Man würde den Kindern nicht sagen, wenn die Mutter oder der Vater tot sind. Ein Vater, der mit seinem Kind viele Jahre in China als Wanderarbeiter von Baustelle zu Baustelle und von Fabrikhalle zu Fabrikhalle umhergezogen war undwegen eines Päckchens Opium verhaftet wurde, durfte erst, als das Urteil feststand,

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