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Madame Zhou und der Fahrradfriseur

Madame Zhou und der Fahrradfriseur

Titel: Madame Zhou und der Fahrradfriseur Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Landolf Scherzer
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Außenwänden der Fabrikgebäude hängen an den roten Klinkern kleine abstrakte Bilder und Porträtfotografien.
    »Das sind die Arbeiten von jungen Künstlern, für die das Kulturzentrum hier einmal gedacht war, die aber das Geld für die Miete nicht aufbringen können. Im Gegensatz zu den kitschigen Mao-Bildern und den Gemälden sozialistischer Arbeitshelden, die heute wieder etablierte Künstler malen und überteuert verkaufen, machen diese jungen Leute noch richtig gute Kunst. Doch diese jungen, hoffnungsvollen Künstler werden durch die kommerziellen Kunsthändler aus der ›Kulturzone‹ vertrieben oder an die Mauern verbannt. Um 1955 hatte man hier vor dem Bau des Rüstungsbetriebes die Bauern vertrieben. Und die Arbeiter kamen. Um 2000 mussten die Arbeiter gehen und die Künstler kamen. Heutemüssen die Künstler gehen, und die Kunsthändler und andere Geschäftemacher kommen.«
    Seine Galerie ist etwa 80 Quadratmeter groß. Die alten Rohrleitungen der Fabriken hängen noch wie eine Kunstinstallation unter der Decke. Die ihn begleitende Mitarbeiterin, eine magere, langhaarige, immer lächelnde Kindfrau, bringt ihm, weil es auch in der Galerie kalt ist, einen Schal und kocht uns Tee. Vor einem der großen abstrakten Bilder fotografiere ich den Galeristen. Gemalt hat es Zhang Guolang, es heißt »Rund mit Platz Nummer 97«. In einem dicken braunen Rahmen ist eine gelbe kreisrunde Fläche zu sehen, in deren Mitte ein kleines Quadrat durch eine weiße von einem roten Querbalken unterbrochene Linie halbiert wird. Kreis und Quadrat werden von verschlungenen Linien verbunden.
    »Was kostet das Bild?«
    »150000 Yuan.«
    Ich frage, was für ihn ein guter Tag ist, und ahne seine Antwort. »Wenn ich ein Bild der abstrakten Kunst verkauft habe.«
    »Und ein schlechter Tag?«
    »Wenn meine 17-jährige Tochter sehr traurig ist.«
    »Und was wünschen Sie China?«
    Er hält mir einen etwa 15-minütigen detaillierten Vortrag, den er dann noch einmal in Grundsätzen zusammenfasst: »Der Kommunismus brachte für China viel Schlechtes, aber auch manch Gutes. In der Geschichte stagnierte China immer oder entwickelte sich sogar zurück, wenn Uneinigkeit und Chaos herrschten. Die Kommunisten dagegen verschafften China Einheit, Stabilität und Ordnung. Dazu brauchen wir jetzt noch eine vierte Säule: die Demokratie. Aber sie einzuführen wird bestimmt erst in 10 Jahren möglich sein. Jetzt würde durch Demokratie, die wir nicht geübt haben, das große Land auseinanderfallen und ein Chaos entstehen. Man kann inzwischen schon manches Kritische bei uns sagen, auch politisch. Aber das ist von Provinz zu Provinz verschieden.Für eine Meinung, die du in Peking vertreten darfst, schlägt man dich in der Provinz vielleicht zusammen.«
    »Und was wünschen Sie sich für Ihre persönliche Zukunft?«
    »Ich bin jetzt 54 und träume davon, mir ein Haus zu bauen. Aber wenn ich das Haus gebaut habe, steht nur die Hülle, sozusagen ein leerer Raum. Ich muss es mit Leben, mit Inhalt, füllen. Und dieser Inhalt ist für mich immer noch meine wissenschaftliche Arbeit als Philosoph. Manchmal schreibe ich Artikel für Zeitschriften …«
    Zum Abschied schenkt er uns ein dickes, in Samt gebundenes, mit Goldschnitt versehenes Buch mit abstrakten Bildern und erklärt, dass auch die chinesischen abstrakten Maler sich wieder auf die Tradition chinesischer Pinselzeichnung besinnen.
    Er entlässt uns mit der Versicherung: »Auch wenn wir chinesischen Galeristen Andy Warhol ausstellen und die chinesischen Künstler nun zeitgenössische Werke schaffen, werden wir unsere chinesischen Maltechniken bewahren und fördern.«

    Am Abend warten wir diesmal nicht im irischen »Durty Nellies«, sondern im »Schillers« auf Monika. Außen symbolisiert ein Gänsekiel die Bar, innen eine unter Glas vor Diebstahl gesicherte Sammlung deutscher Bierdeckel. Allerdings sehe ich keinen Deckel aus den »Schiller-Orten« Marbach, Mannheim oder Weimar. Dafür verspricht die Speisekarte Schnitzel, Cordon bleu, Kasseler mit Sauerkraut, Buletten und Bratwurst. Und der Barkeeper bietet von 17.00 bis 20.00 Uhr zwei Bier zum Preis von einem an. Jeder kennt hier fast jeden, und jeder begrüßt hier fast jeden mit Handschlag. Nur die Besatzung der Lufthansa-Maschine ist neu und bleibt unter sich. Am Tresen diskutiert ein schon sehr laut sprechender, etwas angetrunkener Mann mit einem akkurat gekleideten Managertyp im schwarzen Anzug über die »angebliche Diktatur« in China. Auf alle in

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