Madame Zhou und der Fahrradfriseur
schwarze Anzugjacke aus dem Kofferraum und verwandelt sich auf der Straße in einen deutschen Geschäftsmann.
Ich frage, woher er das chinesische Unternehmen kennt.
»Von der Messe in Shanghai. Dort hatte es einen großen interessanten Stand.«
Der Mitarbeiter und ich laufen beim Gang durch das Werktor zum Verwaltungsgebäude einen Schritt hinter Klaus. Er trägt seinen schwarzen schweren Aktenkoffer und ich seinen Laptop.
In der Pförtnerloge des Gebäudes werden wir von zwei unbeschlipsten jungen Männern und einer Sekretärin begrüßt und von ihnen in einen daneben befindlichen Warteraum begleitet. Der dickere der beiden Männer stellt sich als Manager Fu Deqiang vor, der andere als Marketingdirektor Zhang Bin. Klaus reicht jedem mit beiden Händen seine Visitenkarte und bekommt jeweils eine zurück. Um die Verhandlungen nicht zu stören, halte ich mich im Hintergrund. Doch die Verhandlungen können noch nicht beginnen, denn wir sind nach der500 Kilometer langen Fahrt zwar pünktlich, aber der Chef, Herr Xin, fehlt. Wir sollen uns zuerst erfrischen. Anstelle von grünem Tee bietet die Sekretärin kleine Sodaflaschen mit Vitaminen an. In der nächsten Stunde erhalten wir, auch wenn wir sie nur zur Hälfte ausgetrunken haben, dreimal neue Flaschen.
Weil der Chef immer noch nicht erscheint, schlägt der Marketingchef vor, die Hallen des Betriebes zu besichtigen. Und als wollte er uns wegen des Ausbleibens des Chefs trösten, sagt er, dass wir alles, auch die Produktion, die Wälzlager und die Maschinen, fotografieren dürfen. Vor dem Betriebsrundgang ruft der Manager Fu Deqiang den Werksfotografen an. Der dokumentiert den »Besuch der deutschen Wirtschaftsdelegation im Wälzlagerwerk von Xingtai« zuerst mit einem Gruppenfoto und begleitet uns dann in die Werkhallen. Die mit ziegelroten runden Blechdächern gedeckten Hallen stehen zwischen Sträuchern und Baumsetzlingen inmitten von gepflegten Rasenflächen. Vor jedem Halleneingang ist ein grüner Abfalleimer angebracht.
Auch in den Hallen sieht es aus, als ob ein Besengeschwader extra für unseren Besuch den Fußboden geschrubbt und Staub gewischt hat, denn ich entdecke kaum einen Ölfleck, kein herumliegendes Verpackungsmaterial und sehe auch keine Fusseln auf den alten Maschinen.
Wahrscheinlich ist es nicht schwer, hier Ordnung zu halten, meint Klaus. »Guck dich mal um! Was siehst du?«
»10 Maschinen, aber nur zwei laufen. Und lediglich 5 Leute, die hinter den Maschinen stehen oder die ölglänzenden Wälzlager verpacken, arbeiten in der Halle.«
»Was siehst du noch«, examiniert er mich weiter. Und weil ich ehemaliger DDR-Bürger immer noch auf rote Plakate schaue und neugierig bin, was draufsteht, sage ich: »In jeder Halle hängen ein oder zwei an die zwanzig Meter lange Banner.«
Klaus übersetzt mir die Losungen darauf.
»0,01 Prozent Fehler sind schon 100 Prozent zu viel!«
»Wenn du bei anderen Menschen Hochachtung erringen willst, musst du sie auch achten!«
»Wer keine Ordnung hält und deshalb suchen muss, verliert Zeit, um Geld zu verdienen!«
»Schütze deine Hände und Augen bei der Arbeit vor allen Gefahren!«
Was mir sonst noch auffällt?
»Eigentlich nichts.«
»Der geringe Ausstoß der Maschinen, die hier laufen, reicht wahrscheinlich kaum für eine positive Betriebsbilanz. China boomt nicht überall«, erklärt mir Klaus.
Der Marketingchef Zhang Bin hatte uns im Verwaltungsgebäude informiert, dass im Betrieb 200 Leute beschäftigt sind. Auf dem Weg zu den Hallen korrigiert er die Zahl auf 100. Und in den Hallen fügt er hinzu, dass zurzeit viele Arbeiter Urlaub haben oder krank sind.
Am Ende der breiten Betriebsstraße steht zwischen Zementsäcken, Steinhaufen, Schutt und Blechteilen ein großes Denkmal auf einem schwarzen, mit goldenen Schriftzeichen verzierten Sockel. Die Betonfigur – in Falten gelegter, bis zur Erde reichender Umhang mit weiten Ärmeln, einem langen zipfligen Gelehrtenbart am Kinn und einem hohen Würdenträgerhut auf dem Kopf – hält ein mir unbekanntes, wahrscheinlich geodätisches Messinstrument in der Hand. Der Begleiter des Marketingchefs erklärt mir, dass dieser Mann Guo Shoujing, der Erfinder der Wälzlager ist.
»Der Wälzlager in China oder in der ganzen Welt?«, fragt Klaus.
»Bestimmt in der Welt«, sagt der Chinese. Und fügt, nachdem er höflich neben den Gehweg gerotzt hat, hinzu, was die Chinesen in ihrer schon sehr alten Zivilisation erfunden haben: Kompass, Seide, Nudeln,
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