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Madame Zhou und der Fahrradfriseur

Madame Zhou und der Fahrradfriseur

Titel: Madame Zhou und der Fahrradfriseur Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Landolf Scherzer
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muslimischen Chinesen standen auf der gläsernen Galerie in der Schlachthalle. Wir hatten sie aus Glas bauen lassen, damit die chinesischen Bauern zuschauen konnten, wenn wir ihre Kühe schlachteten. Sie hatten Angst, dass wir sie betrügen, denn zuvor, als wir nach Lebendgewicht bezahlten, hatten sie uns betrogen: mit Schläuchen Wasser in die Pansen der Rinder gefüllt. Nach dem Schlachten wurde alles verwertet und verkauft: Köpfe und Hufe, sogar die Penisse und Sehnen und die Haut. Wir mussten also nichts teuer entsorgen.
    Aber wenn ich von dem Betriebsteil, in dem die ›unsauberen Schweine‹ zerlegt wurden, in den ›sauberen‹ muslimischen Betrieb wollte, musste ich fast einen Kilometer um den Betrieb herumlaufen. Doch auf dem Gelände der beiden Betriebsteile gab es zwei aneinanderstehende, aber streng voneinander getrennte Fahrradschuppen. Dort ließ ich mir heimlich eine kleine Tür einbauen.«
    Die dritte Geschichte – wieder eine von der Hilfe durch die Armee – erzählt er noch kürzer.
    »Für einen Erweiterungsbau im Betrieb mussten wir eine200 Quadratmeter große Betonplatte beseitigen. Die Chinesen hämmerten zwar heftig, aber erfolglos. Da rief ich im Verteidigungsministerium an und bat, dass sie ein Sprengkommando schicken. Es rückte schon am nächsten Tag an. Doch die Soldaten sprengten nicht mit Dynamit, sondern schütteten nur ein graues Pulver in die Löcher und setzten die Platte unter Wasser. Noch vor Feierabend war die fast 40 Zentimeter dicke Betonplatte zerkrümelt. Das Pulver, mit dem man auch Flugzeuglandebahnen ohne Bomben zerstören konnte, war in der DDR-Bauakademie entwickelt worden. Weil das Geld für die Entwicklung ausging, gab man es, ohne es zu Ende getestet zu haben, an die Chinesen. Die machten es ›produktionswirksam‹. War schon in Ordnung, die Freundschaft zwischen der DDR und China, das heißt, wenn der große Bruder sie uns erlaubt hätte.«
    Heute sind diese Geschichten für Steffen Schindler die Abenteuer einer längst vergangenen Zeit. Inzwischen wohnt er mit seiner Frau in einer Villa. Sie besitzen drei Restaurants und eine Catering-Firma, die Delikatessen für die wichtigsten Firmenempfänge in Peking liefert. Sie versorgte auch die deutschen VIP-Gäste bei den Olympischen Spielen. »Außerdem haben wir einen Fleischbetrieb und eine Verkaufsstelle. Wobei das mit dem Laden nicht einfach war. Als Ausländer darf man in Peking nur einen Laden eröffnen, wenn man dort das verkauft, was man selbst produziert. Mir blieb, nachdem ich bei Hua’an aufgehört hatte, gar nichts anderes übrig, als für die Verkaufsstelle, die wir nun privat übernahmen, auch einen eigenen Fleisch- und Wurstbetrieb zu gründen. Die besten Leute habe ich damals natürlich mitgenommen.«
    »Sind Chinesen gute Arbeiter?«
    »Das kommt darauf an, aus welcher Perspektive ich es betrachte. Und darauf, als was ich mich hier in China fühle. Als kurzzeitiger Gast. Oder als eine Art Kolonialherr. Oder als ein Mitstreiter der Chinesen. Meine Frau, die das Catering leitet,erklärte gestern: ›Zur Weihnachtsfeier 800 Gänsekeulen und 1500 Semmelknödel genau zwischen 11 und 13 Uhr bei VW pünktlich und heiß auf den Tisch gebracht. Alles klappte wunderbar. Habe ich toll hingekriegt!‹ Ich sagte ihr: ›Sieglinde, das haben deine Chinesen toll hinbekommen!‹ Sie entgegnete: ›Schließlich kriegen die ihr Geld dafür.‹ – ›Na ja‹, sagte ich, ›sie bekommen 1800 Yuan. Davon bezahlen sie 600 Yuan Miete für irgendeine Behausung, die sie Gemeinschaftswohnung nennen. Plus Taxi im Winter, wenn sie nicht mit dem Fahrrad kommen können. Da bleiben nicht mal 1000 Yuan, das sind nicht einmal 100 Euro zum Leben. Oder nimm eine Ayi, die kriegt noch weniger. Und dann kommt sie in die Wohnung eines reichen Ausländers. Und muss dort Luxusgegenstände saubermachen, die sie nur vom Fernsehen kennt.‹
    Fleißig sind die meisten Chinesen. Sie brauchen das Geld für sich und ihre Familien auf den Dörfern. Arbeiten? Ja! Aber bloß keine Verantwortung übernehmen. Da gibt es beispielsweise in unserem Laden seit Wochen keine Walnuss-Salami. Frage ich, fehlen euch die Walnüsse? ›Nein, Chef.‹ – ›Was dann?‹ – ›Der Trockner läuft nicht, Chef.‹ – ›Weshalb habt ihr ihn nicht reparieren lassen?‹ Sie schauen mich verdutzt an und sagen: ›Das hat doch niemand angeordnet, Chef.‹
    Es gibt jetzt ein neues Gesetz in China. In jedem privaten Unternehmen, das mehr als 15 Mitarbeiter beschäftigt,

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