Madame Zhou und der Fahrradfriseur
geschmiert und Zahnpasta auf die Bürste gedrückt.«
Alles andere hat er schon erzählt: Ausbildung als Schmied. Marine – nitschewo! Leutnant der Artillerie. Panzerjäger … »Aber irgendwann sagte die Mutter: ›Steffen, das wird ein beschissenes Leben als Offizier. Kriegst ’ne Frau, und die bekommt vier Kinder. Und nach Feierabend sitzt du mit ’ner Bierflasche in der Hand irgendwo da oben bei den Sandlatschern auf der Bank vor der Tür. Tag für Tag.‹ Und danach – ich glaube zwar nicht, dass Mutter sogar Beziehungen zurPersonalabteilung der NVA hatte, aber es klingt wie ein Märchen – kamen Offiziere aus Berlin, die mit mir über meine Perspektiven redeten. Ich dachte erst an das Grenzregiment. Aber dann erhielt ich einen neuen Namen und war anschließend nicht mehr der Genosse Schindler, sondern der Genosse Schering. Die Nummer 18! In einer ehemaligen Lungenheilanstalt bei Stendal machte ich dann alles, was man so in Spionagefilmen sah. Fallschirmspringen. Mit Handfeuerwaffen aus aller Welt schießen. Nachts, im unbekannten Gelände vom Auto abgesetzt, ein 25 Kilometer entferntes Ziel finden. Als Soldat ohne Schulterstücke militärisch wichtige Objekte auskundschaften. – Anschließend diente ich bei der Militäraufklärung, 12. Verwaltung in Berlin. Zuerst musste ich die Gegend von Alaska bis Feuerland bearbeiten. Dann Skandinavien. Nein, nicht vor Ort. Vor Ort waren nur unsere Militärattachés. Die mussten Noten austauschen und zu Empfängen gehen. Für die konkreten Arbeiten gab es in den Botschaften auch Diplomaten, die zuvor militärisch ausgebildet worden waren.«
Vier Jahre war Schindler erster Gehilfe des Militärattachés in Ägypten. »Die SU hatte dort wegen diplomatischer Verwicklungen keinen Militärattaché. Also mussten wir für die Freunde aufklären. Beispielsweise das Verhältnis der PLO-Führung zu Arafat.«
Als er von seiner Frau geschieden war, wurde der Genosse Schindler aus dem Verkehr gezogen. »Keine Auslandseinsätze. Aber weil ich immer saubere Fingernägel und einen ordentlichen Haarschnitt hatte, wurde ich nach knapp zwei Jahren zum Stellvertretenden Verteidigungsminister Generaloberst Fritz Streletz beordert. Ihm sollte ich aufzählen, was ich außer deutschem Essen noch liebe. Ich sagte: ›Italienisch, indisch, chinesisch …‹ Er darauf: ›Chinesisch können Sie jetzt jeden Tag essen. Ich schicke sie als Militärattaché nach China.‹ Das war Ende 1988. Ich versuchte einzuwenden, dass ich von China nur Mao, Reis und Radfahrer kannte. Es war zwecklos.Ich ging also zu meiner neuen Frau in die Klinik – damals war gerade unser Sohn geboren – und sagte ihr: ›Sieglinde, wir müssen lernen, mit Stäbchen zu essen!‹
Das erste Halbjahr 1989 bereitete man mich politisch auf China vor. Ich erfuhr viel, aber zu wenig, um das Land zu begreifen. Und mit Stäbchen zu essen brachte man uns auch nicht bei.«
Er macht eine Pause. Überlegt und sagt dann, als spräche er mit sich selbst: »Im November 1989, nachdem die Mauer offen war, flog ich in einer Sondermaschine zusammen mit den Sängern, Musikern und Tänzerinnen des NVA-Kultur ensembles ›Erich Weinert‹ nach China. Sie sollten die Chinesen unterhalten und ich als Militärattaché die Fahne des Sozialismus hochhalten.«
Ich unterbreche ihn. »Drei Monate zuvor erschossen chinesische Soldaten oppositionelle Demonstranten auf dem Platz des Himmlischen Friedens in Peking.«
Er erzählt, dass die Berichterstattung darüber im Außenministerium und der Armeezentrale natürlich im Sinne der regierenden Kommunistischen Partei Chinas geschönt worden war. »Die westlichen Medien sprachen von den Demokratie fordernden chinesischen Oppositionellen, bei uns waren es die konterrevolutionären Elemente. Schwarz-weiß. Die einen berichteten von den um sich schießenden Soldaten und den Panzern, die anderen von Demonstranten, die die Busse, in denen die Soldaten saßen, mit Molotow-Cocktails zu sprengen versuchten. Und wir analysierten alles mit dem Ziel zu verhindern, dass so etwas auch in der DDR geschehen könnte. Wer das Massaker in China persönlich zu verantworten hatte, ist bis heute ungeklärt und ungesühnt.«
Doch auf keinen Fall hat er damals geahnt, dass nicht einmal drei Jahre nach dem Massaker die Amerikaner von der kommunistischen Führung die Genehmigung erhalten würden, in der Nähe vom »Platz des Himmlischen Friedens« ihreerste McDonald’s-Filiale in Peking zu eröffnen. »Und dass ich mit
Weitere Kostenlose Bücher