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Madame Zhou und der Fahrradfriseur

Madame Zhou und der Fahrradfriseur

Titel: Madame Zhou und der Fahrradfriseur Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Landolf Scherzer
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    Es war ein ungleicher Kampf. Die britischen Schiffe zerstörten dank ihrer großen Feuerkraft in kürzester Zeit die chinesischen Dschunken. Die Chinesen hatten seinerzeit zwar Kompass und Schießpulver erfunden, aber im Gegensatz zu den Europäern nicht weiterentwickelt. Die Briten eroberten die Küstenstädte und drangen auf den Flüssen in das Landesinnere ein. 1842 wurde der Erste Opiumkrieg beendet. In den Verträgen von Nanking musste China den Engländern und anderen Ausländern den uneingeschränkten freien Handel garantieren (auch den mit Opium), musste Hongkong an die Briten abtreten, mehrere Millionen Silbermünzen als Reparation bezahlen …
    Trittbrettfahrer der Briten wurden zuerst die Franzosen und Amerikaner, später auch Russen, Portugiesen, Schweden, Norweger und Deutsche. Sie alle erzwangen von China die Öffnung des Landes für ihre eigenen Handelsfirmen. Und zusätzlich das Recht auf christliche Missionierung.
    Weil die soziale und politische Ordnung in China durch die nicht mehr einzudämmende Opium-Sucht (vor allem unterdem Militär) gefährdet war, versuchte die kaiserliche Regierung mehrmals, den freien Opium-Handel zu beschränken. Briten und Franzosen bestraften daraufhin die »wortbrüchigen« Chinesen 1856 mit dem Zweiten Opium-Feldzug. 1860 besetzten sie, nachdem sie Truppen aus Indien zur Verstärkung herangezogen hatten, mit rund 20 000 Mann Peking. Sie zerstörten und plünderten den kaiserlichen Sommerpalast und China musste weitere Häfen für die Ausländer öffnen, den uneingeschränkten Opium-Handel garantieren und zusätzlich Reparationen in barem Silber bezahlen. Außer diesen Handelsrechten erzwangen die Briten auch »für alle Chinesen« das »Menschenrecht« auf freie Reisemöglichkeit, das zuvor nach kaiserlichem Edikt eingeschränkt gewesen war.
    Doch der Grund für diese »humane Forderung« der ansonsten mit Chinesen nicht zimperlich umgehenden Europäer war keineswegs deren plötzliche Sorge um vorenthaltene bürgerliche Menschenrechte. Im Gegenteil. Seit dem Wiener Kongress 1814 war der Sklavenhandel verboten worden (in den USA erst 1864). Dadurch fehlten in den überseeischen Kolonien die schwarzen Sklaven als Arbeiter. Und englische, holländische, portugiesische und deutsche Schiffsreeder, die mit dem Sklaventransport viel Geld verdient hatten, suchten nach neuen Möglichkeiten des Menschenhandels. Die fanden sie in China. Um die chinesischen Kulis jedoch von Macao aus nach Kuba, Amerika und »Kaiser Wilhelms Land« (Neuguinea) verschiffen zu können, mussten sie das »Menschenrecht auf Reisefreiheit« für die Chinesen durchsetzen. In den ersten 10 Jahren nach diesem Verdikt sollen vom Hafen in Macao aus fast eine halbe Million chinesischer Kulis in die Kolonien der Europäer verschifft worden sein. Und die Reedereien verdienten wieder. Auf den Plantagen, bei der Zuckerrohrernte, dem Bau von Eisenbahnen starben die, wie man sie anpries, »besonders hitzeresistenten chinesischen Kulis« an Hunger, Durst und Auspeitschung zu Zehntausenden. (Auf den Plantagender deutschen Besitzungen in Neuguinea überlebten in manchen Jahren nur die Hälfte der »eingeführten« Kulis die Strapazen.)
    Fehlte es an Freiwilligen, zogen die Menschenfänger (die Europäer hatten ja das Recht auf »freien Handel« erzwungen) im Land umher und holten sich durch falsche Versprechungen, Drohungen oder indem sie die Chinesen mit Alkohol und Opium betäubten, neue Fracht für ihre Schiffe.
    Ein österreichischer Forscher, der mit der Fregatte »Novara« in Macao anlandete, schrieb 1861 einen Bericht über die Verschiffung chinesischer Kulis. Bevor ich aus seiner Aufzeichnung zitiere, möchte ich ein sehr subjektives Detail, das auf den ersten Blick mit der chinesischen Geschichte nichts zu tun hat, erwähnen:
    Kurz nach der Wende schenkte mir ein Bekannter, der zugleich als Dachdecker und Antiquitätenhändler (er fand auf Böden gar manches) arbeitete, ein Blumenbild mit einer mir unbekannten, sehr exotisch aussehenden Pflanze. Ich hatte das Bild stolz aufgehängt, denn unter der Blume stand: »Anthurium Scherzerianum«, aber ich hatte mich nie gefragt, weshalb die Blume diesen Namen trägt. Erst durch die Recherchen über den Handel mit chinesischen Kulis erfuhr ich, dass diese Flamingoblume aus der Familie der Ahorngewächse um 1857 nach dem österreichischen Forschungsreisenden Karl Ritter von Scherzer benannt worden ist. Und Karl Ritter von Scherzer war auch der österreichische

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