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Madame Zhou und der Fahrradfriseur

Madame Zhou und der Fahrradfriseur

Titel: Madame Zhou und der Fahrradfriseur Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Landolf Scherzer
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Nachfolgeorganisation der in der BRD verbotenen KPD. Aber den sich in Peking treffenden deutschen Genossen des Kommunistischen Bundes war der immer noch »kleinbürgerlichen Genüssen frönende« Uwe Kräuter nicht revolutionär genug. Es half ihm auch nicht, dass er reumütig »Selbstkritik« übte. Man schloss ihn aus.
    Wann genau er, ohne allerdings seine Träume von einer gerechten Welt zu begraben, den Glauben an die Ideen von Marx und Mao aufgegeben hat, kann er nicht mehr genau bestimmen.
    »Es ist ein langer Prozess gewesen. Dazu haben auch Gespräche mit Intellektuellen und Künstlern gehört, die während der Kulturrevolution in Arbeitslagern schikaniert und gequält worden waren.«
    Als Deng Xiaoping den chinesischen Reformkurs einleitete und sagte, dass nach Reichtum zu streben keine Schande, sondern eine gute Tat im Sinne der Parteipolitik ist, begann Uwe Kräuter 1984 Filme zu drehen, brachte deutsche Fernsehserien wie »Derrick« nach China und vermittelte wirtschaftliche Beziehungen zwischen chinesischen Künstlern und Ausländern.
    Bis zur Verjährung seiner Gefängnisstrafe im Jahr 1980 hatte Uwe Kräuter nicht nach Deutschland zurückgehen können. In dieser Zeit erkrankte seine Mutter unheilbar an Krebs. Hätte er die todsterbenskranke Mutter sehen wollen, wäre er schon bei der Ankunft auf dem Fughafen verhaftet worden. »Damals verzweifelte ich am Leben.« Mit Hilfe der chinesischen Behörden holte er die Mutter schließlich nach Peking. Im »Union Medical College Hospital« konnten die chinesischen Ärzte entgegen der Prognose der deutschen Kollegen ihr Leben verlängern. Uwe Kräuter pflegte die Mutter, wie es in China üblich ist, gemeinsam mit den Ärzten und Schwestern. Auch in den Nächten blieb er bei ihr. Ärzte, Patienten und Angehörige hätten sich im Krankheitsfall damals als eine Familie gefühlt und danach gehandelt, erinnert er sich.
    Er sagt nichts über die Hunderte von Yuan, die man heute bezahlen muss, damit man in einer Klinik aufgenommen wird. Und er kommentiert auch das Massaker auf dem Platz des Himmlischen Friedens nicht. Damals war der ehemalige 68er Demonstrant mit seiner Frau im Mercedes zu dem besetzten Platz gefahren. Er wollte nur schauen und konnte den empörten Demonstranten, die in ihm einen korrupten Ausländer vermuteten, lediglich mit Hilfe seiner in China bekannten Frau entkommen.
    Darüber spricht er noch langsamer und wählt die Worte noch sorgfältiger. Klaus sagt: »Er redet diplomatisch wie die meisten Chinesen. Er weiß um die Gefährlichkeit der Worte.« 1980 flog Uwe Kräuter zum ersten Mal wieder nach Deutschland. Er hatte das chinesische Theaterstück »Das Teehaus« für deutsche Bühnen eingerichtet. Mit den Schauspielern des Pekinger Volkstheaters stellte er das Stück zuerst in Darmstadt in Originalsprache vor. Danach spielten sie es in weiteren elf deutschen Städten.
    »Ich übersetzte dabei 60 Rollen simultan. Das deutsche Publikum versetzte sich in die chinesische Geschichte. Es feiertedie chinesischen Künstler mit Standing Ovations, und ich fühlte mich als Botschafter Chinas in Deutschland.«
    Vier Jahre danach probte er den privaten Ernstfall für die Beziehung zwischen China und Deutschland. Nach dem chinesischen Ehegesetz war zwar die Heirat zwischen Chinesen und Ausländern gestattet, aber in der Praxis nicht geduldet. Trotzdem beantragte er im chinesischen Fremdsprachenverlag und Shen Danping am Filminstitut die Zustimmung ihrer staatlichen Arbeitsstellen zur geplanten Hochzeit.
    »Als Shen den Canossagang zum Chef antrat, hatten sich alle Kollegen im Vorraum versammelt und warteten …«
    Nun kommt die Schauspielerin nach vorn, stellt sich neben ihren Mann und ergänzt: »In der Nacht vor der Entscheidung rief mich ein Bekannter an und orakelte: ›Vielleicht ist dein Mann ein deutscher Spion!‹ Da dachte ich mir, weshalb soll ein Spion keine Frau haben, die ihn liebt. Und wenn er wirklich ein Spion ist, werde ich ihn zu einem ordentlichen Bürger umerziehen.«
    Am 7. Juli 1984 heirateten sie. Er war damals 39 und seine Frau, wie er heute sagt, »ein geheimnisvolles, schönes, stilles Wesen«, 23 Jahre alt. Nach der Hochzeit konnte er zwar endlich sein Hotelzimmer verlassen und mit ihr in eine kleine Wohnung ziehen, aber Fans, die zuvor Shen Danping verehrt hatten, beschimpften sie nun als »Ausländerflittchen, das nach Deutschland will«. Sie erhielt vorerst keine neuen Filmrollen. Und der staatliche Fremdsprachenverlag hatte

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