Madame Zhou und der Fahrradfriseur
dauerte dieser Holztransport. Noch schwieriger war das Heranschaffen der über 10 Meter langen und drei mal zwei Meter dicken Steinquader aus der Nähe von Wan Jin. Sie konnten nur im Winter auf einer Eisfläche – man ließ das Wasser zu einer Eispiste gefrieren – herangezogen werden. 20 000 Arbeiter sollen für den Transport eines Steines einen Monat gebraucht haben.
1424 wurde der Yongle-Kaiser mit 16 seiner Konkubinen, die allerdings noch lebten, in den unterirdischen, aus mehreren Sälen bestehenden, mit reichlich Gold- und Silberschmuck gefüllten und seitdem nicht geöffneten Hallen beigesetzt. Der Eingang zum Mausoleum des 13. Kaisers Wan Lin wurde dagegen 1956 gefunden. Die Grabstätte, die aus 5 prunkvollen Sälen besteht, befindet sich 27 Meter unter der Erde und hat eine Grundfläche von rund 1200 Quadratmetern.
Die Größe der Grabanlagen unterscheidet sich je nachdem, ob sie schon zu Lebzeiten des kaiserlichen Himmelssohnes oder erst nach seinem Tode errichtet wurden: Die noch zu Lebzeiten des Kaiser geschaffenen sind größer als die, welche erst nach ihrem Tod gebaut wurden!
Vor dem ersten Tor zum Gelände der bis zu 4 Kilometer voneinander entfernten kaiserlichen Grabstätten steigen Klaus und ich aus. Monika fährt weiter und wird am nächsten Tor auf uns warten. Sie lässt uns die schnurgerade Straße, die »Allee der Seelen«, für die einem wie für die Besichtigung jeder Grabstätte 30 bis 40 Yuan abverlangt werden, allein gehen. Es ist unser erster gemeinsamer Spaziergang, und wir begegnen auf der langen Allee an diesem eiskalten Vormittag kaum einem Dutzend Menschen. Ich fotografiere mit klammen Fingern die 12 Beamten, Diener und Ratgeber und die 24 Löwen, Elefanten, Kamele, Pferde und Fabelwesen, die, aus weißenSteinen gehauen, die Allee säumen. Sie bezeugen, dass der Himmelskaiser von Menschen und symbolischen Tieren (den starken, mutigen Löwen, den lastenschleppenden Kamelen und Elefanten, dem Pferd, das den Kaiser trägt) im Leben wie im Tod beschützt wird. Zu seinen Lebzeiten waren es unvergleichlich mehr. In der Kaiserstadt erwarteten und erfüllten ungefähr 20 000 Minister, Beamte, Eunuchen, Ratgeber und Konkubinen die Befehle des einzigen, des göttlichen Himmelssohnes, des Kaisers.
Vor einem der steinernen Pferde kehrt ein Chinese das Laub zusammen und füllt es in zwei große Weidenkörbe, die auf dem Aufbau eines dreirädrigen Lastenfahrrades stehen. Das Laub ist noch feucht und riecht schon modrig. Als hätten wir uns verabredet, bleiben Klaus und ich stehen und atmen den Geruch ein.
»Wie im Herbst zu Hause«, sage ich.
Er nickt und schweigt.
Ich frage ihn: »Liebst du China?«
Er weicht aus: »Ich habe hier einen Job.«
Ich hake nach: »Liebst du die Chinesen?«
Er: »Liebst du die Deutschen?«
An der »Allee der Seelen«
Als ich nicht antworte, fragt er: »Muss man das Land und dessen Bewohner lieben, weil man dort eine Arbeit gefunden hat? Mich hätte es auch nach Ägypten oder Angola verschlagen können, ohne dass ich die Angolaner oder Ägypter lieben müsste.«
»Dorthin wärst du wohl nicht gegangen. Du sprichst weder Arabisch noch Portugiesisch, sondern Chinesisch!«
»Aber auch Russisch und Englisch! Doch nach Tschetschenien war es mir nicht mehr möglich, in Russland zu arbeiten. China dagegen kannte ich, und Englisch, dachte ich, würde mir helfen, mich mit den ausländischen Geschäftsleuten und Managern, die in China leben, aber kein Chinesisch sprechen, zu verständigen.«
Durch seine Chinesisch-Kenntnisse hat er Vorteile im Umgang mit der chinesischen Bürokratie. »Zwar herrscht kein chinesischer Kaiser mehr über die Beamten, doch sie gehorchen auch der Partei-Obrigkeit. Sie haben die Demut von Generation zu Generation weitergegeben. Es existieren Gesetze, aber ob und wie die Gesetze und Verordnungen in der Praxis angewandt werden, bestimmen die Beamten. Sie verdienen damit ein Zubrot wie zu alten Zeiten. Es gibt in der chinesischen Philosophie kein Entweder-Oder, sondern nur ein Sowohlals-Auch. Über bestimmte Entscheidungen kann man durchaus mit einem Beamten bei einem guten Essen verhandeln.«
Doch diese Methode ist nicht seine Methode. Er liebt klare Entscheidungen. Wenn ein chinesischer Mitarbeiter bei ihm kündigt, kann der sofort sein Zeug packen und gehen. »Ich bin für kompromissloses Entweder-Oder!«
Beim Rundgang durch die roten Tore in die Opferhallen und die Höfe des Changling sollte ich von dem Prunk, der Größe, den
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