Madame Zhou und der Fahrradfriseur
draußen gesessen habe, geh ich ohne anzuklopfen rein. Da hocken zwei auf der Schreibtischkante, trinken Kaffee, und einer sagt, ohne dass er gefragt hat, was ich will: ›Füll erst mal deinen Aufnahmeantrag aus!‹ – ›Nein, ich will eigentlich austreten!‹ Da holen sie den zweiten Sekretär der Kreisleitung. So ein Jüngelchen in Jeans. Ich frage ihn: ›Hast du in der NVA gedient?‹ Aber er behält die Hände weiter in den Taschen. Ich wäre vielleicht geblieben, wenn er gesagt hätte: Wir haben das alles leider verbaddelt. Die gute Idee des Sozialismus einfach verbaddelt. Stattdessen redet er nur vom ›Kapitalismus, der an allem schuld ist und der den Osten kaputtmacht‹. Da war nichts mehr von einer umsetzbaren gesellschaftlichen Idee. Nur so ein Revolutions-Kommunismus-Geschwätz. Da habe ich endgültig Schluss gemacht.«
Weil ich keine Bratwurst gegessen habe, sagt Steffen Schindler: »Du kannst dir den Betrieb anschauen, in dem wir die Thüringer Würste produzieren! Und danach probiere sie.«
SPICKZETTEL (11)
Jennifer Z., Berufswunsch: etwas mit Umweltschutz
Ich möchte in Europa arbeiten und leben, weil ich schon sehr lange, 13 Jahre, in China gelebt habe, eine Chinesin bin und wissen will, wie das Leben in Europa ist.
Meine drei Wünsche sind, dass ich durch die Zeit reisen kann, dass ich einmal um die ganze Welt reisen kann und mindestens 85 Jahre alt werde. Für China hoffe ich auf mehr Umweltbewusstsein der Menschen.
David, Berufswunsch: Wirtschaftsingenieurwesen
Meiner Meinung nach kann man niemals an zu vielen Orten gelebt haben … denn überall gibt es unterschiedliche Sprachen und Kulturen. Es ist interessant, zu erleben, wie ein Land denkt. Chinesen haben ganz andere Ansätze beim Denken, die aber trotzdem logisch und nachvollziehbar sind. Sprachen finde ich interessant, und ich würde sehr gern viele erlernen. Leider bin ich in der Schule in jeder Sprache sehr schlecht.
Ich wünsche mir die drei Klassiker: Geld, Erfolg und Unsterblichkeit, und für die Zukunft: früh in Rente gehen, ein Haus am Meer mit Frau und paar Kindern in Italien oder so. China wünsche ich Menschenrechte, Bildung, Freiheit, aber keine Demokratie in fremder aufgezwungener Art.
Hier fehlt mir, wenn ich an Deutschland denke: das Essen, die gute Luft und das Bier. Außerdem fehlt mir mein Bodensee. In Deutschland würde mir dagegen fehlen: das billigere Leben in China, Taxi fahren und das Großstadtfeeling.
Im Prinzip würde ich keine Chinesin heiraten, es sei denn, sie verhält sich nicht wie eine Chinesin.
Das Teehaus
ODER:
Yan lun de wei xian xing – Von der Gefährlichkeit der Worte
Schon am Eingang zum Café im 12. Stock des German–Center duftet es nach Glühwein. Und wie es sich für deutsche Ordnung gehört, erhält jeder, der Eintritt bezahlt hat, einen Bon, den er gegen ein Glas Glühwein eintauschen kann. Das zweite muss man bezahlen. Die würzig und nach guter Butter schmeckenden Weihnachtsplätzchen auf dem Tisch sind kostenlos. Ich, der ich inzwischen um diese Zeit an »Erdnüsse satt« in einem der Pubs gewöhnt bin, muss mich sehr beherrschen.
Eine Hälfte der vielleicht 50 Besucher sind Chinesen, die andere Deutsche. Der ehemalige Botschafter der Volksrepublik China in der BRD Mei Zhaorong ist auch gekommen. Er sitzt hinten in der letzten Reihe und steht bei der Begrüßung nur kurz auf, um sich zu verbeugen. Die meisten Zuhörer verdrehen den Kopf nach der sehr laut sprechenden und heftig gestikulierenden schönen Schauspielerin Shen Danping.
»Man sieht ihr die 25 Jahre Ehe mit Kräuter nicht an«, sagt Klaus. Uwe Kräuter sitzt sehr still vorn an einem kleinen Tisch. Er bewegt sich kaum und hält die Hände wie zum Gebet geformt. Er ist hager, und seine grauen Haare sind gewellt. Mit seiner Schüchternheit erinnert er mich an die zwei Bedienerinnen und den jungen Koch im »Enten-Restaurant«.
Aber er ist ein Deutscher. Ein Deutscher, der seit 35 Jahren in China lebt. Hannah Böhme, die Chefin des German-Center, versucht, diese beiden Seiten in ein Bild zu fassen. »Herr Kräuter ist ein Ei. Außen weiß wie ein Deutscher, innen aber gelb wie ein Chinese.«
Kräuters unsicheres Lächeln, bei dem er die Zähne entblößt, kann ich weder als Zustimmung noch als Ablehnung dieserBehauptung werten. Doch eines begreife ich im Laufe des Abends. Genau wie Steffen Schindler, der durch die Beziehungen seiner schneidernden Mutter gefördert wurde, kein »normaler« DDR-Bürger war, genauso
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