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Madame Zhou und der Fahrradfriseur

Madame Zhou und der Fahrradfriseur

Titel: Madame Zhou und der Fahrradfriseur Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Landolf Scherzer
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wunderbare Vorteil ist die Unabhängigkeit. Man kann für sich auswählen und sich, in einem Gefühl von befreiendem innerem Reichtum, an den Stärken beider Welten orientieren.«
    Uwe Kräuters Sätze klingen völlig anders als Steffen Schindlers Bemerkungen über dessen Nichtheimat Deutschland. Wahrscheinlich liegt es auch daran, dass der 68er Uwe Kräuter trotzdem immer wieder in »sein« Deutschland zurückkehrt. Und der ehemalige Militärattaché Oberst a. D. Steffen Schindler »sein« Deutschland, als er 1990 nach China gegangen ist, für immer verloren hat.

SPICKZETTEL (12)
    N. N., Berufswunsch: Sozialpädagogik
    Mein Vater hat uns die Möglichkeit gegeben, hier in Peking
eine ganz andere Kultur kennenzulernen und viele neue Erfahrungen zu sammeln. Ich konnte hier so viel erleben, und deshalb möchte ich später auch im Ausland arbeiten. Ich will noch viele weitere Kulturen kennenlernen. Am liebsten in Thailand. Da war ich schon oft, weil mein Patenonkel dort lebt und mir die Kultur und die Menschen in Thailand sehr gefallen.
    Ein guter Tag ist für mich, wenn man glücklich und zufrieden ist und das Leben genießt. Manchmal sind es Kleinigkeiten, wie eine Umarmung, die den Tag schon gut machen.
    Ich wünsche dem Volk von China, dass sie mehr Meinungsfreiheit haben können. Außerdem sollen sie sich in allen Richtungen weiterhin so gut wie jetzt entwickeln können.
    Manchmal vermisse ich hier die Freiheit, alles, was ich denke, auch öffentlich sagen zu können, und manchmal fehlt mir das deutsche Umfeld, in dem man einfach verstanden wird, ohne dass man sich sprachlich anstrengen muss. In Deutschland werde ich auf jeden Fall das ständige Gehupe, die nicht immer guten Manieren der Chinesen und das billige Jobben vermissen. Die ganze Zeit, die ich hier lebte, und die Erfahrungen, die ich in China sammeln konnte, werden mir immer in Erinnerung bleiben, und China wird mir auf jeden Fall fehlen.
    Einen Chinesen würde ich nicht heiraten. Ich liebe Peking zwar über alles, doch ich kann mir nicht vorstellen, dass ich ein Leben lang hier mit einem Chinesen verbringen könnte. Die Menschen und deren Kulturen unterscheiden sich einfach zu sehr von denen der Deutschen. Ich merke das auch bei meinen chinesischen Klassenkameraden in der Pekinger Schule oder bei Freunden. Sie haben total andere Ansichten von manchen Dingen als wir Deutsche, und es kam manchmal zu Streitereien. Mit gewissen Ansichten und Sitten komme ich leider nicht zurecht. Ich akzeptiere diese aber und finde es o.k., wenn man nach diesen lebt.

Die Souvenirverkäufer
    ODER:
    »Bu dao chang cheng deng yu mei qu guo zhong guo« – »Wer nicht auf der Großen Mauer gestanden hat, war nicht in China«
    Wenn der Tourismus-Slogan »Wer nicht auf der Großen Mauer gestanden hat, war nicht in China« stimmen würde, wären Millionen Chinesen, die seit Generationen im Land der Mitte leben, noch nie in China. Doch für einheimische und chinesische Touristen, die Peking besuchen, stimmt er. (Allerdings gilt er, wie mir Madame Zhou später erzählen wird, nicht für chinesische Wanderarbeiter, die in Peking wohnen. »Sie können weder den Eintritt für den Kaiserpalast noch für die Große Mauer aufbringen.«)
    Monika, Klaus und ich fahren schon am Vormittag vom Compound zur Großen Mauer. Wir wollen außerdem die etwa 50 Kilometer nordwestlich von Peking gelegenen Ming-Gräber besichtigen. Heute zum zweiten Advent schiebt Klaus unterwegs nicht »Alles Rot«, sondern erzgebirgische Heimatlieder in den CD-Player. In Kurzform erzählt er dann die Geschichte des 80 Quadratkilometer großen, unter UNESCO-Schutz stehenden Begräbnisareals, in dem während der Ming-Dynastie (1368–1644) 13 der 16 Ming-Kaiser in unterirdischen, dem Kaiserpalast nachgestalteten Mausoleen beerdigt worden sind.
    Der dritte Ming-Kaiser Yongle (Ewige Freude), der die chinesische Hauptstadt von Nanking nach Peking verlegt hatte und auch die »Verbotene Stadt« bauen ließ (in der die chinesischen Himmelskaiser bis 1911 herrschten), hatte das Gelände für den »Kaiserlichen Friedhof« am Fuße des Berges Tianshou ausgesucht und sich dort seine Grabstätte Changling bauen lassen. Zehntausende Arbeiter errichteten den Grabpalast in 18 Jahren. Für die »Opferhalle der Gnade« mussten sie 32 jeweils10 Meter hohe und über einen Meter dicke Säulen aus Nanmu-Holz, einer Zeder, die nur im südlichen China wächst, aus Tausenden Kilometer Entfernung nach Peking holen. Länger als drei Jahre

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