Madame Zhou und der Fahrradfriseur
Bedienerin bis zur Tür und freut sich, dass wir sie fotografieren. Gästemangel im Dezember.
Auch auf dem Parkplatz von Badaling stehen nicht, wie Klaus sich erinnert, an die hundert Busse, sondern nur zwei. Und die Parkplatzwächter möchten wohl nicht warten, bis alle Besucher nach dem »Schließen der Mauer« gegen 18 Uhr den Parkplatz verlassen haben. Deshalb kassieren sie schon bei der Ankunft und haben dadurch eher Feierabend. Und einige Verkaufsbuden sind geschlossen. Und die Seilbahn hinauf zur Mauer fährt wegen zu starkem Wind nicht …
Aber all das war später. Schon 5 Kilometer vor Badaling sehe ich, nachdem wir durch die ersten Bergtunnel gefahren sind, die Konturen der Mauer hoch oben auf den schroffen Berggipfeln, von denen sie dann nicht in Windungen, sondern steil hinunter und wieder hinauf führt. Wachhäuser unterbrechen die Gleichmäßigkeit der Mauer. Sie fügen sich trotzdem zu einer kunstvollen architektonischen Harmonie. Die am oberen Rand mit Zinnen versehene Mauer schmiegt sich so eng an die Berge, dass es aussieht, als ob sie nicht von Menschen daraufgesetzt, sondern natürlicher Bestandteil der Berge ist.
Ich sage euphorisch: »Gehen wir hinauf!«
Monika wartet im größten Souvenirshop, in dem es gleichzeitig eine Bar gibt. Bevor wir entscheiden, ob wir den steilen Anstieg links oder rechts beginnen, zieht uns eine Chinesin mit Pelzmütze zu ihrem mobilen Laden und erklärt Klaus,dass es auf den Bergen sehr kalt ist und wir deshalb eine Armee-Pelzmütze kaufen müssten. Eine mit dem roten Stern der Chinesischen Volksbefreiungsarmee! Doch wir steigen ohne Mütze und ohne roten Stern hinauf.
Die zwischen den Mauerwänden verlaufende Straße ist breit und mit fliesenähnlichen Steinen gepflastert. An besonders steilen Stellen wollten die Restauratoren durch Stufen – die für die kleinen Chinesen jedoch sehr hoch sind – den Aufstieg erleichtern. Die ersten Schritte fallen mir trotz der Steigung nicht schwer. Zwar sollte ich auf den Boden schauen, um nicht zu stolpern, aber ich schaue hinauf zum ersten Wachhaus und dem Gipfel des Berges. Und unwillkürlich – vielleicht weil ich aus einem »Mauer-Land« komme – vergleiche ich. Hier 8000 Kilometer. In der DDR 1950 Kilometer. Hier sollte die Mauer China vor den Angriffen und Eroberungszügen der Mongolen schützen. Der »antifaschistische Schutzwall« aber sollte trotz seines Namens, nicht nur den Krieg zwischen zwei sich an dieser Stelle feindlich gegenüberstehenden Systemen, sondern vor allem die Flucht der Menschen nach außen verhindern. Und manchmal fragen Chinesen, für die Mauer gleich Mauer ist: »Weshalb nutzt ihr eure nicht auch als Attraktion für Touristen aus aller Welt?« Einer sagte mir: »Wir heben stolz den Kopf, wenn wir zu unserer Mauer schauen. Ihr senkt den Kopf, wenn ihr vor den Resten eurer Mauer steht.«
Der Wind bläst eisig kalt.
Nur wenige Touristen – meistens Chinesen – steigen mit uns hinauf. Eine Familie, Sohn, Tochter, Frau und Kinder, schiebt den Großvater – er trägt eine allerdings schon speckige Armee-Mütze mit dem roten Stern – im Rollstuhl ein Stück des steilen Weges zum ersten Wachhaus. Im Tal hängt an der Station der Seilbahn eine auch von oben deutlich zu erkennende Losung. Klaus übersetzt sie: »Eine Welt – ein Traum« – ein Überbleibsel der Olympischen Spiele. Schon am ersten Wachhaus schnaufen sowohl ich, der Thüringer Berge gewohntist, als auch der Erzgebirgler. Doch zur Belohnung bietet uns eine Souvenirverkäuferin eine Goldmedaille und eine Urkunde an. Sie bestätigen unseren Aufstieg zur Großen Mauer.
Wir verzichten auf die olympische Medaille, und ich versuche mir vorzustellen, wie über hundert Jahre lang viele Generationen von Chinesen fast 70 Millionen Kubikmeter Ziegelsteine und Steinplatten Meter für Meter auf die Gipfel getragen und die Mauer aneinandergefügt haben. Eine Mauer, die von den Kulturrevolutionären wieder abgerissen und deren Steine dann zum Bau von Straßen und Häusern verwandt wurden. Die inzwischen restaurierten Mauerabschnitte besuchen jährlich 10 Millionen Touristen. »Im Sommer sieht man die Menschen auf dem Mauerpfad nur noch wie Insekten auf einer Ameisenstraße«, sagt Klaus.
Auch Richard Nixon, der erste Präsident der USA, der Mao Zedong mit seinem Staatsbesuch beehrte und damit international aufwertete, besichtigte 1972 die Große Mauer. Er soll danach gesagt haben: »Die Große Mauer ist eine großartige Mauer, und nur ein
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