Madame Zhou und der Fahrradfriseur
Edelhölzern, dem Gold und dem Marmor beeindruckt sein und staunen. Ich sollte versuchen, die Unterschiede zwischen den farbigen buddhistischen Tempeln und den nicht so bunten der konfuzianischen Ming-Zeit zu entdecken.Doch wahrscheinlich bin ich in dieser Beziehung ein Kulturbanause. Ich fotografiere zwar die kunstvoll wie Schuppen ineinandergesteckten Ziegel der Dachfirste und die vor dem Eingang stehenden goldenen Löwen, den Müllsammler, der sich, auf seinen langen Besen stützend, ausruht, und den Soldaten, der wachen sollte, aber schon zu Beginn unseres Besuches singend über den Hof schlendert, und als wir gehen, immer noch singt. Ich fotografiere die Tempelsäulen und die Souvenirverkäuferin, die ihre Waren alleingelassen hat, in einer Ecke sitzt und gebackene Teigtaschen isst. Doch mir fehlt der Kunstverstand, um architektonische Details zu deuten oder sie in die chinesische von Religion und Philosophie geprägte Geschichte einzuordnen. Stattdessen spukt in meinem Kopf die Vorstellung, wie 20 000 Arbeiter im klirrenden Frost auf Eisbahnen die 10 Meter langen und drei Meter dicken Steinquader in 30 Tagen Zentimeter für Zentimeter hierhergeschleppt haben und vielleicht Tausende Menschen dabei umgekommen sind.
Wahrscheinlich bin ich immer noch von Brechts »Fragen eines lesenden Arbeiters« infiziert.
Die unterirdischen Paläste des Yongle-Kaisers (in denen auch die Gebeine der dort verhungerten 16 Konkubinen zu sehen wären) sind immer noch unter einem großen Grabhügel, der dem Berliner Mont Klamott ähnelt, verschlossen. Irreführende Blindeingänge und tonnenschwere Marmortüren haben verhindert, dass die Ming-Gräber von den Kulturrevolutionären wie die Quing-Gräber in der Stadt ausgeraubt und zerstört werden konnten.
Auf dem Grabhügel erhebt sich ein Turm mit Parabolspiegeln für die Kommunikation – wahrscheinlich aber nicht für die zwischen oben und unten.
Am Hang des Tianshou-Berges stehend, genieße ich die sanfte Tallandschaft in der kilometerweit keine Gebäude zu sehen sind. In Deutschland, sage ich zu Klaus, wären in solcheiner schönen Gegend, nur 50 Kilometer von der Hauptstadt entfernt, längst Neubau-Siedlungen, Wochenendhäuser und Kleingärten errichtet worden.
»In China ist das auch nicht durch Verhandlungen und Bestechung der Baubeamten möglich«, meint Klaus. »Beamte können staatlichen Boden zwar an Bauern abgeben, aber die Bauern dürfen nur auf 15 Prozent dieses für die Landwirtschaft bestimmten Bodens ihr Wohnhaus, eine Scheune und Stallungen bauen. Also beginnen sie mit einem sehr kleinen Haus und haben dann vielleicht noch 5 Prozent Fläche für ein zweites Haus, das sie vermieten.«
Auch die Luft ist hier sehr klar, und es atmet sich leicht. Ich kann den Smog der Autostadt Peking nicht mehr wahrnehmen. Die Pekinger Luft ist vor der Olympiade »gefiltert« worden. »Die Regierung hat große Fabriken, u. a. ein Stahlwerk, in der Stadt abreißen und außerhalb im Süden wieder aufbauen lassen. Das funktioniert bei meinen Chinesen«, sagt Klaus.
Den 20 Kilometer langen Weg von den Ming-Gräbern zur Großen Mauer säumen inzwischen die Wächter des Tourismus und des Kommerzes. Die Touristenbusse halten vor Verkaufskomplexen, die als »Kliniken der Traditionellen Chinesischen Medizin« getarnt sind. Die Touristen werden dort von »Barfußärzten« untersucht und können sogleich die helfenden »Medikamente« kaufen. Die Busse halten auch vor Seidenfabriken, in denen man nach einer Videovorführung über die Geschichte der Seidenproduktion überteuerte Seidenstoffe kaufen soll.
Wir gehen in eine »Wie-bei-Muttern-futtern«-Kantine, in der »bäuerliches Essen« serviert werden soll. Der zweistöckige Raum mit Kühlschränken, Wasserspeichern, Holztischen, Holzstühlen und Betonfußboden sieht wie der Speisesaal einer DDR-LPG aus. Aber die Bedienerin fegt den Tisch, bevor wir uns setzen, noch ordentlich mit dem Besenab, bringt dann Besteck und Gläser (die Monika und Klaus noch einmal sorgsam auswischen) und fragt, was wir essen möchten. Klaus wählt, aber bei jedem zweiten Gericht sagt die Bedienerin: »Meijou … Meijou.« Meijou war, wie Klaus erklärt, früher in jedem staatlichen chinesischen Geschäft die wichtigste Vokabel. Sie bedeutet: »Haben wir nicht.« Doch warmes Bier gibt es. Die Chinesen trinken wegen der Balance von Yin und Yang kein kaltes Wasser. Und die Preise sind auch nicht bäuerlich, sondern touristisch. Aber zum guten Schluss bringt uns die
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