Mademoiselle singt den Blues - mein Leben
schenken. Sonst wird die Zeit zur Herrscherin und hindert die Liebenden daran, sich weiter zu lieben. Ich nutze das Geschenk nicht, das mir das Leben macht. Es ist kein günstiger Augenblick. Aber ich dürste nach seiner Liebe, seiner Ausgeglichenheit, ich brauche einen Mann an meiner Seite. Er ist beruhigend,
erdverbunden und handfest, ich schwebe in der Luft und bin oft von der Realität abgekoppelt. Weil zu lange und zu häufig auf Tournee. Ich müsste unserer Liebe die Aufmerksamkeit schenken, die sie verdient, doch leider flüchte ich mich in meinen Job. Kabaret nimmt mich völlig in Anspruch. Vielleicht auch, weil dieser Liebende zu gut für mich ist.
Die Medien haben sich auf unsere Beziehung gestürzt, hocherfreut darüber, dass sie nun ein weiteres Prominentenpärchen fotografieren und über es schreiben können. In jedem Interview wird gebohrt. Die Fragen sind mir lästig und peinlich, ich gebe die falschen Antworten. Solche, die verletzen, die Unverständnis hervorrufen. Ich habe Schwierigkeiten mit meinen Gefühlen und noch mehr damit, sie auszudrücken. Also können meine öffentlichen ÃuÃerungen gar nicht anders als ungeschickt sein. Ich neige dazu, abzuwiegeln und zu relativieren. Ich bin vorsichtig und vermeide allen Ãberschwang, jedenfalls vorerst. Da er intelligent ist und psychologisches Feingefühl besitzt, erläutert er meine Antworten und rechtfertigt sie vor dem Hintergrund dessen, was er schon von mir weiÃ. Und dann trennen wir uns am Ende doch, weil wir weder zeitlich noch in unseren Gefühlen genug übereinkommen.
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Ich habe Angst davor, mich zu binden, die Liebe erschreckt mich. Das Publikum liebe ich mit einer anderen Liebe, die abstrakt und konkret zugleich ist. Nur durch die Liebe des Publikums fühle ich mich schön, interessant, lebendig. Nur sie ermöglicht mir Augenblicke der Ewigkeit. Ihre Zärtlichkeiten und Küsse überwältigen mich, wie kein Mann es kann. Sie ist die gröÃte, schönste Erfüllung.
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Das Stadion hat sich nicht verändert, es ist höchstens ein bisschen gepflegter. Doch die Zeiten haben sich geändert. In Moskau zeigt sich eine Generation »neuer Russen« mit teuren Autos und Frauen im Pelz. Es gibt praktisch keinen Schwarzmarkt mehr, er ist jetzt offiziell geworden. Die Bevölkerung ist besser ernährt als früher und will konsumieren. Seit die Russen nach Belieben aus- und einreisen können, genieÃen sie alles, was ihnen zuvor verwehrt war. Die kalte Atmosphäre der Sowjetzeit ist einer neuen farbenfrohen und offenen Epoche gewichen.
Hier im Olimpijski habe ich zum ersten Mal gesungen. Ich war knapp über zwanzig und hatte keine Angst. Heute lähmt mich das Lampenfieber. Es kribbelt überall in meinem Körper, ich kann mich kaum auf den Beinen halten. Ein scheuÃliches Gefühl, das ich in meiner zwanzigjährigen Karriere kaum je erlebt habe. Ich habe schon so manchem Publikum die Stirn geboten, und manchmal waren die Zuschauerzahlen erschreckender ⦠Ich habe inzwischen Erfahrung mit mir selbst. Aber es sieht so aus, als wäre sie manchmal absolut nutzlos ⦠Heute geht es mir wie jedem x-beliebigen Künstler kurz vor dem Auftritt: Ich werde von unkontrollierbarer Angst überfallen.
Heute Abend vertrete ich Frankreich beim Eurovisionswettbewerb. Es geht um viel, das ist mir bewusst, und das ist das Problem. Daher meine panische Angst. Es lag gar nicht so nahe. War auÃerdem riskant. Ich habe lange über die Entscheidung nachgedacht. Unterstützt von meinen drei Musketieren. Erst hatte ich Nein gesagt, doch dann lieà ich mich von ihrem Zureden, ihrer Entschlossenheit umstimmen. SchlieÃlich wollte ich mir selbst beweisen, dass ich kein Feigling war und imstande, dorthin zu gehen. Als bekannt wurde, dass ich
Frankreich vertreten würde, hörte ich alle möglichen Kommentare. Einige fanden mich mutig, andere spotteten über meine Teilnahme an einer Veranstaltung, die in Frankreich als albern gilt. Unnötige Bosheiten, wie so oft.
Ich bin hypersensibel und habe Erfahrungen mit dem, was hinter meinem Rücken gesagt wird. Als Kind, in Stiring-Wendel, hatte ich nicht nur Freundinnen. Kaum hatte ich angefangen, öffentlich aufzutreten, kaum stand mein Name auf Plakaten, da fingen einige Klassenkameradinnen und Nachbarinnen an zu hetzen. Dabei habe ich wirklich nicht angegeben. Ich fand mich weder
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