Madita
sicherheitshalber sehen sie trotzdem
jeden Morgen im Briefkasten nach. Doch heute zuckt Madita nur die Achseln. Heute ist ein so trauriger Tag, wie soll da wohl etwas mit der Post kommen?
Lisabet läuft trotzdem hinunter. Madita bleibt allein und kann wieder an den Ausflug denken. Sie sieht auf die Uhr – die Eisenbahnfahrt ist schon vorbei. Jetzt wandern bestimmt alle die Landstraße entlang und singen, alle ihre Klassenkameraden. Sie sieht sie ganz deutlich vor sich, zu zweit kommen sie anmarschiert, gleich haben sie den Berg erreicht, wo sie die Butterbrote essen werden.
Und sie liegt hier und darf nie, nie dabeisein, wenn etwas Spaß macht.
Da kommt Lisabet völlig atemlos die Treppe heraufgestürmt.
»Madita«, ruft sie, »Madita, du hast drei Karten und ein Päckchen bekommen.«
»Wirklich?« fragt Madita und setzt sich gespannt im Bett auf.
Nun muß man wissen, daß Madita und Lisabet bunte Postkar-
ten sammeln. Ihre Alben sind schon fast voll. Wenn man
Geburtstag oder Namenstag hat, kriegt man die allerschön-
sten Karten. Manchmal sind Blumen darauf oder niedliche
Kätzchen oder kleine Hunde und manchmal auch ganz feine
Herren mit Schnurrbärten, die Damen in schönen Kleidern
unterhaken. Manche Karten sind ganz blank, das sind die
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allerfeinsten. Und jetzt hat Madita gleich drei Glanzkarten auf einmal bekommen, und dabei hat sie doch gar nicht Geburtstag und auch nicht Namenstag, sondern nur Gehirnerschütterung. Madita bekommt ganz rote Backen, als sie ihre Karten sieht. Oh, wie schön sie sind! Auf der ersten ist eine weiße Taube mit einer roten Rose im Schnabel, auf der zweiten ein rosa Engel, der von einem dunkelblauen Himmel voller blin-kender, goldener Sterne herabgeschwebt kommt, und auf der dritten ist ein kleiner Junge im Samtanzug, der einen Strauß gelber Rosen im Arm hält. Madita guckt sich alles genau an und seufzt vor Glück, ja, sie muß richtig schlucken, so himm-lisch schön sind die Karten!
»Guck doch mal nach, von wem sie sind«, drängt Lisabet, und da dreht Madita die Karten rasch um.
»Von einem Freund« steht in Blockschrift auf allen drei Karten.
»Na, so was!« sagt Madita.
Karten kommen doch sonst nur von der Großmutter oder den
Kusinen, aber nicht von einem Freund. Karten zu bekommen
und nicht zu wissen, von wem, ist etwas ganz Neues und
Unerhörtes.
»Vielleicht sind sie von Abbe«, rät Lisabet.
»Na, klar doch! Alle drei Karten!« sagt Madita. »Abbe ist doch nicht übergeschnappt.«
Sie ist so begeistert von ihren Karten, daß sie darüber fast ihr Päckchen vergessen hätte. Aber jetzt kann sie nicht schnell genug das Papier aufreißen.
Darin ist ein Karton und in dem Karton eine Menge rosa
Seidenpapier. Madita und Lisabet gucken sich an und frösteln vor Spannung. Unter diesem rosa Papier kann alles sein, was sich nur ausdenken läßt; es ist so aufregend, daß man nicht weiß, was es ist. Madita beugt sich darüber und schnuppert.
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»Was kann es bloß sein? Was glaubst du?«
Lisabet schnuppert ebenfalls.
»Weiß ich nicht.«
»Soll ich jetzt mal nachgucken?« fragt Madita.
»Apselut«, sagt Lisabet.
Das Seidenpapier raschelt unter Maditas eifrigen Fingern.
Lisabet hält den Atem an.
Obenauf liegt ein Brief. »An Madita von Großmama« steht auf dem Umschlag. Aber Großmama hat nicht etwa nur einen Brief geschickt, oh, bewahre! Da liegt eine winzig kleine Babypuppe und eine winzig kleine Badewanne für die Puppe, damit sie baden kann, und ein winzig kleines Fläschchen für die Puppe, damit sie daraus trinken kann, und ein winzig kleines Stückchen Seife, damit sie sich waschen kann.
Und dann liegt darin noch ein Beutel mit Perlen, woraus man sich Ketten machen kann, und zwei grüne Schächtelchen mit schönen Bildern auf dem Deckel, und jede Schachtel ist voll von Liebesperlen, und mitten darin liegt ein hübscher Ring.
Als Lisabet all das sieht, was Madita bekommen hat, werden ihre Augen ganz rund, und sie wird sehr nachdenklich.
Schließlich mault sie:
»Ich will auch Gehirnerschütterung haben!«
Da greift Madita nach den Schachteln und nimmt in jede Hand eine.
»Welche willst du?« fragt sie. »Willst du einen Ring mit einem roten Stein oder lieber einen mit einem blauen?«
»Mit einem grünen«, sagt Lisabet.
»Dummchen, ein grüner ist doch gar nicht dabei«, sagt Madita.
»Dann möcht ich einen blauen«, sagt Lisabet. »Du bist aber lieb, Madita!«
Madita findet selber, daß sie lieb ist, und das ist ein schönes
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