Madita
schön wie die Sterne auf ihrer Engelkarte.
Sie versucht, sie zu zählen, aber das ist schwer. Und vom Sternezählen wird man so müde.
Jetzt schläft ganz Birkenlund an seinem stillen Fluß zwischen den weißen Birken. In dem dunklen Haus ist nur noch Mama
wach. Sicherlich legt sie sich auch bald schlafen, aber vorher geht sie noch einmal ins Kinderzimmer, um ihre beiden kleinen Mädchen gut zuzudecken. Sie hebt das grüne Nachtlämpchen
hoch, so daß der Schein auf Lisabets Bett fällt. Lisabet liegt wie gewöhnlich auf dem Bauch. Man sieht von ihr nur den braunen Nacken und eine Menge wuschliges blondes Haar. Als Mama
sich über sie beugt, murmelt sie im Schlaf:
»Du bist ja verdreht, Madita!«
Dann geht Mama zu ihrer großen Tochter. Aber auch ihre
große Tochter sieht so klein aus, wenn sie schläft. Klein und lieb sieht sie aus. Neben ihrem Bett liegt ein Zettel auf dem 64
Fußboden. Mama hebt ihn auf, und dann liest sie im Schein des Nachtlämpchens:
Todesfälle
Am Freitagmorgen geht Madita wieder zur Schule, recht wi-
derwillig und mit schlurfenden Schritten. Sie mag nicht hingehen und vom Ausflug reden hören.
Zwanzig Minuten später kommt sie wieder nach Hause ge-
stürmt. Sie läuft, nein, sie fliegt geradewegs in die Küche hinein, und Mama erschrickt fast zu Tode, weil sie glauben muß, daß etwas Furchtbares passiert ist. Denn weshalb sollte Madita sonst während des Unterrichts heimkommen und so
außer sich sein?
»Mama«, japst Madita, »Mama... wir machen einen Aus-
flug ... jetzt gleich... am Mittwoch ist nichts draus geworden ... unsere Lehrerin ist auf der Treppe gestolpert, oh, ich freu mich so... sie hat auch Gehirnerschütterung gekriegt...
ich soll Kakao in einer Thermosflasche mitbringen... wo ist mein Matrosenkleid... schnell, Mama... schnell!«
Als Linus-lda ein Weilchen später zum Wochenputz kommt,
trifft sie Madita an der Gartenpforte von Birkenlund. Madita in ihrem neuen Matrosenkleid und mit dem runden Matrosenhut
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auf dem Kopf. Oh, wie sie strahlt und wie der Rucksack auf ihrem Rücken tanzt, denn sie macht ja so frohe Hopser!
»Ich mach einen Ausflug«, ruft Madita. »Oh, ich freu mich so!«
»Sieh einer an«, sagt Linus-lda. »Na, und wer hat im Bett gelegen und geheult und wollte tot sein? Heut klingt das ja ganz anders.«
»Haha«, sagt Madita, »das war doch Sebastian Nigge! Der
wollte doch tot sein. Und das ist er jetzt auch. Es hat in der Zeitung gestanden.«
»In was für einer Zeitung denn?« fragt Linus-lda.
»Haha, sag ich nicht«, sagt Madita.
Und dann marschiert sie los zu ihrem Ausflug. Sie wird mit der Eisenbahn fahren und auf einem Berg sitzen und Butterbrote essen. Kein Wunder, daß sie nur so strahlt, als sie jetzt noch einmal den Weg zur Schule macht.
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Lisabet steckt sich eine Erbse
in die Nase
Jetzt ist der Herbst wirklich da, und nun gibt es in Birkenlund jeden Donnerstag Erbsensuppe. Aber nicht jeden Donnerstag steckt sich Lisabet eine Erbse in die Nase, das tut sie nur einmal. Sie stopft für ihr Leben gern etwas irgendwo hinein, wo es nicht hingehört. Den Schlüssel der Mädchenkammer wirft sie in den Briefkasten; Mamas Ring steckt sie in ihr Sparschwein, so daß man ihn um die Welt nicht herausbekommt,
sondern das Schweinchen zerschlagen muß; Papas Fahrrad-
klammern zwängt sie in eine leere Flasche. All das tut sie aber nicht aus Ungezogenheit, sie will nur mal sehen, ob es geht.
Festzustellen, ob man etwas irgendwo hineinkriegt, macht
Spaß, besonders, wenn man vorher nicht weiß, ob man es
hineinkriegt.
Jetzt findet sie auf dem Fußboden in der Küche eine Erbse, und schwups hat sie sich die Erbse in die Nase gesteckt. Nur um mal zu sehen, ob sie sie hineinkriegt. Und sie kriegt sie hinein. Ziemlich tief sogar.
Dann will Lisabet die Erbse wieder herausholen. Jetzt hat sie es ja ausprobiert. Aber jetzt will die Erbse nicht. Sie steckt, wo sie steckt. Lisabet bohrt und bohrt, aber die Erbse will nicht wieder herauskommen. Lisabet bittet Madita, ihr zu helfen, und Madita versucht es auch. Aber nein, die Erbse kommt
nicht wieder raus.
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»Vielleicht hat sie da Wurzeln geschlagen«, sagt Madita nachdenklich. »Paß auf, mit einemmal wachsen dir Blüten aus der Nase. Hoffentlich sind es wenigstens Wicken, die gut riechen.«
Da stimmt Lisabet ein großes Geheul an. Wicken mag sie
gern, aber die sollen im Garten wachsen und nicht aus ihrer Nase.
Laut weinend läuft sie zu Mama.
»Mama, ich hab eine Erbse in
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