Madrapour - Merle, R: Madrapour
gerupften Vogels Zuflucht gesucht, als wollte es Beistand gegen ihn, Manzoni, erbitten, der ihr doch in ihrer Todesstunde seine innigsten Tröstungen hatte zuteil werden lassen.
Da ich, wie schon gesagt, schöne Männer nicht mag, vergesse ich die Angst des Augenblicks und mache mich ein weniglustig. Manzoni ist durch Michous Undankbarkeit so demoralisiert, daß er nicht auf die messerscharfen Blicke aus den japanischen Augen von Mrs. Banister achtet. Dabei könnte man mit etwas Phantasie beinahe sehen, wie die Schnittwunden seine rechte Gesichtshälfte entstellen und wie das Blut tropfenweise die Wangen hinunterrinnt.
Der Bedauernswerte merkt nichts. Er weiß nicht, welche Hypothek an Groll sich in seiner unmittelbaren Nähe anhäuft und welche Rechnung er wird bezahlen müssen, wenn er sich endlich entschließt, seine Huldigungen den Hügeln darzubringen, wo sie von Anbeginn erwartet wurden.
Dort ist die Hölle los. Ein Hurrikan verwüstet die innere Landschaft Mrs. Banisters, entwurzelt die Bäume wie Karotten, hebt die Dächer ab und zerschmettert Michou auf dem Asphalt. Man bedenke, was Mrs. Banister, die geborene de Boitel, alles aufzuweisen hat gegenüber dieser jämmerlichen Michou, die platt wie eine Flunder ist, verkommen, verworfen, ungebildet und haltlos: Nicht nur die Geburt, die Eleganz, die Lebenserfahrung, sondern einen prachtvollen Körper, der von den Jahren verschont geblieben ist; einen Hintern, der ein Hintern ist und nicht ein knochiges kleines Etwas zum Hinsetzen; Brüste, die richtige Brüste sind und nicht leere, schlaffe Hautsäcke; schließlich einen Bauch, so weich und lieblich wie das molligste Kissen der Welt, nicht diese fipsige Kollektion von Organen, die an Verstopfung leiden …
Während Mrs. Banister dieses klägliche Häuflein Michou mit ihrem Messer aufspießt und in den Müll wirft, verläßt mich die Stewardess, um die Pantry in Ordnung zu bringen. Ihre Abwesenheit stürzt mich in unerträgliche Leere, gibt mir aber gleichzeitig den Blick für meine Mitreisenden wieder.
Ich erkenne sofort, daß wir unsere letzten Minuten des Schweigens verleben. Mit undurchdringlichem Gesicht, aber die Finger auf ihrem Rock leicht verkrampft, schleudert Mrs. Banister nicht nur gegen Manzoni grausame Samurai-Blicke, sondern gegen alle anwesenden Männer, weil sie wie er zu Füßen ihres Throns knien und ihre anbetungswürdigen Füße küssen müßten.
Ich staune über so viel Leidenschaft, die sich auf einen einzigen Punkt konzentriert. Ich staune auch über meine eigene. Ich nutze die Abwesenheit der Stewardess, um einen klarenGedanken zu fassen. Genaugenommen ist es einfach unglaublich, daß wir jetzt alle mit unseren Liebschaften und unserem sonstigen Kram beschäftigt sind. Caramans, der eine Akte vor sich liegen hat, denkt wieder an sein Erdöl und an seine Waffenverkäufe; Pacaud träumt von seinem Furnierholz und von Michou; Chrestopoulos und Blavatski vom Rauschgift; Mrs. Boyd von dem Vier-Sterne-Hotel. Alle vergessen, daß wir nicht wissen, wer dieses Flugzeug steuert, welches Ziel es hat und ob es überhaupt eines hat.
Mrs. Banister hat keine Anstrengungen nötig, um von dieser Situation Abstand zu gewinnen. Sie ist ganz von der Kränkung erfüllt, die ihre Hintersassen ihr angetan, indem sie sie vernachlässigten. Und in dem Moment, als ich höre, wie hinter mir der Vorhang zur Seite geschoben wird, und ich darauf warte, daß die Stewardess wieder ihren Platz in ihrem Sessel einnimmt, in dieser Sekunde biegt Mrs. Banister ihren langen eleganten Hals zur Seite, stellt durch Bewegungen des Oberkörpers ihren Busen zur Schau und sagt bissig, ohne Manzoni anzusehen:
»Da ich von so aufmerksamen und intelligenten Männern umgeben bin, möchte ich ihnen eine Frage stellen: Wie erklären sie sich die eisige Kälte im Flugzeug, als der Inder und seine Begleiterin ausgestiegen sind?«
Ich höre neben mir die Stewardess Atem holen. Dann wechselt der Rhythmus ihrer Atemzüge, und ein Seitenblick verrät mir, daß Mrs. Banisters Frage sie besorgt macht und daß sie eine Diskussion zu diesem Punkt befürchtet. Aber keiner der Männer (und nur an sie hatte Mrs. Banister sich gewandt) denkt daran, zu antworten, die spezifische Angriffslust der Fragestellerin ist zu offensichtlich. Außerdem erwartet Mrs. Banister keine Antwort; sie hat eigentlich gar keine Frage gestellt, sie hat mit dem erstbesten Einfall, der ihr in den Sinn kam, die Männer herausfordern wollen, die sie »umgeben«: ein
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