Madrapour - Merle, R: Madrapour
übrigen wäre ich niemals hierher zurückgekehrt, auch nicht in die Touristenklasse, wenn ich nicht schon bei meinen ersten Schritten auf der Erde zurückgestoßen worden wäre.« Hier überläuft sie ein Schauer, und ihre Augen verdrehen sich. Schmerzliche Verzweiflung in ihrem gelblichen Gesicht, fährt sie mit zitternder, tonloser Stimme fort: »Ich hatte das Gefühl, nirgendwo geduldet zu sein, weder in der Chartermaschine noch auf dem Boden.« (Bei diesem Wort verbirgt sie ihren Kopf in den Händen.)
»Aber hier können Sie nicht bleiben, Madame«, sagt die Stewardess. »Es ist zu kalt.«
»Als ich auf der Erde war«, fährt die Murzec fröstelnd fort, »– und ich wünsche meinem ärgsten Feind nicht, zu erleben, was ich erlebt habe –, fiel mir plötzlich ein, daß Sie anfänglich erwogen hatten, mich in die Touristenklasse zu verweisen. Das hat mir den Mut gegeben, wieder an Bord zu gehen. Und ich hoffe, daß Sie mir gütigst gestatten werden, hier die Bestrafung zu erdulden, die Sie mir auferlegt haben.«
Das alles ist vielleicht ein bißchen zu gut und in einem allzu gewählten Stil gesagt. Ich schaue sie an. Ich weiß zuerst nicht, was ich davon halten soll. Oder mir kommt vielmehr der Gedanke, daß die Murzec heuchelt, daß sie eine glänzende Nummer abzieht und unter dieser neuen Maske ihre Fratze verbirgt. Aber wenn ich darüber nachdenke, glaube ich es nicht mehr. Das ist ihre gezierte Sprache. Die sorgfältige Artikulation, die elegante Formulierung – das hat sie an sich, selbst wenn sie ausfällig wird. Und außerdem hat diese Frau keinen Humor und keinen kritischen Abstand. Die Murzec ist aus einem Stück. Ein Monolith. Und jetzt entpuppt sich dieser Monolith plötzlich als Ausbund an Nächstenliebe.
Die Knie aneinandergepreßt, die Hände symmetrisch auf ihrer Handtasche, die Schultern hochgezogen, den Kopf erhoben, spricht sie mit leiser, erstickter Stimme. Ihre blauen Augen sind gleichsam mit unbeugsamer Demut auf uns gerichtet. Sie muß völlig durchgefroren sein, denn ihre trockenen, rissigen, farblosen Lippen beginnen in den Pausen zwischen ihren Sätzen zu zittern.
Sprachlos vor Staunen, stehen wir dicht aneinandergedrängt um die Murzec herum. Als wir uns vom ersten Schock erholt haben, hebt im Flüsterton ein leises Kommentieren an, so wild durcheinander, daß man in dem Gedränge nicht unterscheiden kann, wer spricht.
Zu meiner Überraschung gewahre ich rechts neben mir Mrs. Banister. Sie lehnt ihre Brust an meinen Arm, und als ich mir des Charakters dieser Berührung bewußt werde, werfe ich ihr von der Seite einen Blick zu. Den schönen braunen Kopf in Höhe meiner Schulter, beugt sie in diesem Moment den Hals zurück, läßt ihre japanischen Augen über mich gleiten und heftet den Blick sogleich wieder mit spöttischem, verächtlichem Ausdruck auf die Murzec. Wut steigt plötzlich in mir auf, möglicherweise wegen dieser Miene, vielleicht auch weil mich diesanfte Berührung ihrer Brüste verwirrt, und diese Verwirrung, scheint mir, entweiht beinahe meine Empfindungen für die Stewardess. Ich beuge mich über Mrs. Banister und sage leise und drohend mit zusammengepreßten Lippen:
»Wenn Sie ein einziges Wort gegen diese Frau wagen, zermalme ich Sie.«
»Wer sagt Ihnen denn, daß mir das mißfallen würde?« erwidert sie ebenfalls leise, und ihre schmalen Augen gleiten mit nicht zu überbietender Schamlosigkeit über meine breiten Schultern.
Gleichzeitig verstärkt sie den Druck gegen meinen Arm, diesmal mit vollem Bedacht, wie mir scheint. Ich bin völlig durcheinander und bereue meinen Leichtsinn: Denn es entgeht mir nicht – und ihr ist es auch nicht entgangen –, daß dieses »zermalmen« zweideutig ist. Nicht daß ich mir Illusionen machte! Ich bin kein Ersatz für sie, sondern nur insofern interessant – nebenher –, weil ich mich für die Stewardess interessiere. Normales Spiel einer Katze, die am Teppich herumbeißt.
Blavatskis Stimme übertönt den Lärm.
»Madame, vielleicht werden Sie uns endlich erklären …«
Die Stewardess unterbricht ihn sofort.
»Nein, Mr. Blavatski«, sagt sie höflich, aber entschieden. »Ich wiederhole: ich dulde keine Fragen, bevor nicht Madame Murzec in die erste Klasse zurückgekehrt ist und etwas Warmes getrunken hat.«
Sie findet lebhafte Zustimmung, während Blavatski vorwurfsvolle Blicke hinnehmen muß.
»Ich danke Ihnen nochmals, Mademoiselle, aber ich bleibe hier«, sagt die Murzec, ebenso unbeugsam in der Tugend wie
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